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Eine Nacht

Ada Christen

Ich hab' einen schönen Traum geträumt
In einer langen Nacht;
Da warst Du gut und freundlich mit mir,
Doch hat's mich traurig gemacht.

Du hieltest mich an die Brust gedrückt,
Unser Athem hat sich vereint;
Ich habe Dir die Hände geküßt
Und leise dabei geweint.

Du legtest die Hände mir auf's Haupt
Und sahst mich forschend an;
Ich aber weinte immer fort,
Du hast mir Leides gethan.

"Und hab' ich Dir auch Leides gethan,
Vergiß es nur geschwind
Und weine nicht" -- so sprachest Du --
"Mein armes verlorenes Kind!"

"Du sollst nicht mehr verlassen sein,
Ich will Dich hegen und pflegen,
Und weil Du bald stirbst, so will ich
Dich selbst zur Ruhe legen." --

Ich aber weinte immer fort
In der langen bangen Nacht --
Und bin im Arm eines Andern
Am Morgen aufgewacht.

Lieder einer Verlorenen, 1868.
In der Irre.

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