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Ist da eine Libelle auf Deiner Schulter?

Anonymous

Sie waren ein Liebespärchen in einem schönen ruhigen Dorf. Sie gingen zum Strand, zu jedem Sonnenaufgang und jedem Sonnenuntergang. Jeder Passant beneidete sie sehr.

Doch eines Tages, wurde das Mädchen in einem Verkehrsunfall sehr schwer verletzt. Sie lag in einem Krankenhausbett und kam auch mehrere Tage später immer noch nicht zu Bewußtsein. Tagsüber hockte der Junge an ihrem Krankenbett und sprach ununterbrochen zu ihr; nachts rannte er zur Dorfkirche und betete zu Gott. Seine Tränen waren längst versiegt.

Ein Monat verging, das Mädchen war immer noch bewußtlos. Der Junge wurde depressiv, doch er gab weder das Sprechen zu seiner bewußtlosen Freundin noch das Beten auf. Eines Tages hatte Gott schließlich Mitleid mit ihm. So entschied er eine Ausnahme für diesen verzweifelten jungen Mann zu machen. Gott fragte ihn: "Bist Du bereit, es mit Deinem Leben zu bezahlen?" Der Junge antwortete ohne zu zögern: "Das bin ich!" Gott sagte: "Gut, dann werde ich sie aus ihrem Koma so bald wie möglich erwachen lassen... aber Du mußt dafür eine Libelle werden; und zwar ganze drei Jahre lang. Willst Du das wirklich?" Der Junge, nach wie vor wild entschlossen: "Ich will!"

Bei Sonnenuntergang, verwandelte sich der Junge in eine hübsche Libelle. Sie verabschiedete sich von Gott und flog schnell zum Krankenhaus. Die Freundin erwachte tatsächlich aus ihrer Ohnmacht und sprach zum Arzt neben ihr, doch die Libelle konnte zunächst nichts hören.

Einige Tage später erholte sich das Mädchen vollständig und verließ das Krankenhaus. Doch sie war unglücklich. Sie erkundigte sich überall nach dem Jungen. Doch niemand wußte wo er war. Sie suchte ihn jeden Tag, vergeblich. Doch in Wirklichkeit wich die Libelle niemals von ihrer Seite. Sie flog ständig um das Mädchen herum, und begleitete es überall hin. Doch die Libelle konnte weder den Namen des Mädchens flüstern, noch konnte sie es umarmen. Sie mußte es ertragen, wie das Mädchen sie vollständig ignorierte. Der Sommer verging, und der Herbstwind wehte die Blätter weg. Die Libelle mußte gehen. So landete sie ein letztes Mal auf des Mädchens Schulter. Sie wollte das Gesicht ihrer heißgeliebten Freundin mit ihren Flügeln streicheln und ihre Stirn mit ihrem kleinen Mündchen küssen, doch sie war zu klein, um wahrgenommen zu werden.

Wie schnell die Zeit verging! Der Frühling kehrte zurück. Die Libelle konnte es kaum abwarten, zu ihrer Freundin zurückzufliegen. Doch sie sah einen großen, schlanken und hübschen Mann neben dem Mädchen stehen. Vor Schreck fiel die Libelle beinahe aus der Luft herunter! Leute redeten darüber, wie übel das Mädchen damals beim Unfall verletzt wurde, und wie süß und nett der Herr Doktor war; und natürlich wie vernünftig ihre Liebe doch war. Selbstverständlich erzählte man sich auch, daß das Mädchen wieder glücklich war, so wie früher.

Das machte die Libelle sehr traurig. Und in den folgenden Tagen sah sie oft wie der Mann zu ihrer über alles geliebten Freundin sprach; wie beide Sonnenaufgang und -untergang gemeinsam am Strand erlebten. Doch die Libelle konnte nichts tun, außer gelegentlich auf des Mädchens Schulter zu ruhen.

Dieser Sommer schien sich ewig in die Länge zu ziehen. Die Libelle flog mit ihrem gebrochenen Herzen herum, tagein, tagaus. Sie hatte den Mut verloren, sich ihrer Freundin zu nähern. Sie glaubte zu ersticken, wenn sie Flüstern und Lachen der Beiden hörte.

Im dritten Sommer, flog die Libelle nicht mehr so häufig zu ihrer Freundin. Diese kuschelte sich an den Doktor, und ihr Gesicht ward von ihm geküßt. Das Mädchen hatte keine Zeit, sich um eine traurige kleine Libelle zu scheren, und es hatte keine Lust, sich an die vergangenen Tage mit seinem früheren Freund zu erinnern.

Die Zeit, die der Junge mit Gott vereinbart hatte, näherte sich nun bald dem Ende zu. Am letzten Tag des dritten Jahres, heiratete die geliebte Freundin der Libelle den Doktor!

Die Libelle flog leise zur Kirche und setzte sich auf die Schuter Gottes. Sie hörte, wie das Hochzeitspaar zu Gott schwor: "Ich will!". Sie sah, wie der Doktor ihrer Freundin den Ring an den Finger steckte und wie sie sich verliebt küßten. Bittere Tränen voller Leid floßen aus den großen Augen der winzigen Libelle.

Gott seufzte: "Bereust Du Deine Entscheidung?" Die Libelle wischte sich die Tränen weg und sagte: "Niemals!" Gott war mit dieser Antwort zufrieden und sprach: "Nun denn, Du kannst morgen wieder Mensch werden." Die Libelle schüttelte traurig den Kopf und antwortete: "Nein, danke. Laß mich bitte eine Libelle bleiben, für immer und ewig..."

Manchmal ist es unser Schicksal jemanden zu verlieren. Manchmal wird es kein Happy End für zwei Menschen geben. Jemanden zu lieben bedeutet nicht, ihn zu besitzen; doch wenn man jemanden hat, sollte man ihn für immer über alles lieben, als wäre es der letzte Tag. Ist da eine Libelle auf Deiner Schulter?

Aus dem Chinesischen übersetzt und beigetragen von Annie Chen.
Deutsche Übersetzung der englischen Übersetzung: Farid Hajji.

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