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Eine Erscheinung

Charles Baudelaire

I. Die Finternisse

In Höhlen unerforschter Traurigkeit,
Wohin mich die Geschicke feindlich stießen,
Wo niemals rosige Strahlen sich ergießen,
Wo nur die mürrische Nacht mir Freundschaft leiht,

Bin ich ein Maler, den ein Gott im Scherz
Verdammt zu malen, ach! in dieser Wüste;
Bin ich ein Koch voll grausiger Gelüste,
Ich siede und verzehr' mein eignes Herz.

Nur manchmal strahlt und wächst aus tiefer Nacht
Ein Wesen, das aus Glanz und Duft gedichtet;
Wenn in des Ostens träumerischer Pracht
Es sich zu ganzer Höhe aufgerichtet,

Hab' ich das holde Rätsel schnell enthüllt:
Sie ist es! Dunkel, und doch glanzerfüllt.

IV. Das Bild

Krankheit und Tod verlöschten längst die Funken
Des Feuers, das uns lohend einst umfing,
Der Augen Leuchten sanft und liebestrunken
Und jenen Mund, an dem mein Herz verging.

Was blieb von unsrer Küsse mächtigen Schauern,
Von der Verzückung Rausch so stark und wild?
Ach meine arme Seele, Du magst trauern!
Nichts blieb zurück, als ein verwischtes Bild,

Das stirbt wie ich, in Einsamkeit verborgen,
Und das die Zeit, der Greis voll böser Gunst,
Mit rauher Schillinge streift an jedem Morgen ...

Du düstrer Feind des Lebens und der Kunst,
Du sollst mir niemals im Gedächtnis morden
Sie, die mein Glück war, die mein Ruhm geworden!

Die Blumen des Bösen

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