Vom Tode
Christian Fürchtegott Gellert
Meine Lebenszeit verstreicht,
        Stündlich eil ich zu dem Grabe;
        Und was ist's, das ich vielleicht,
        Das ich noch zu leben habe?
        Denk, o Mensch! an Deinen Tod.
        Säume nicht; denn eins ist Not.
        
Lebe, wie Du, wenn Du stirbst,
        Wünschen wirst, gelebt zu haben.
        Güter, die Du hier erwirbst,
        Würden, die Dir Menschen gaben;
        Nichts wird Dich im Tod erfreun;
        Diese Güter sind nicht Dein.
        
Nur ein Herz, das Gutes liebt,
        Nur ein ruhiges Gewissen,
        Das vor Gott Dir Zeugnis gibt,
        Wird Dir Deinen Tod versüßen;
        Dieses Herz, von Gott erneut,
        Ist des Todes Freudigkeit.
        
Wenn in Deiner letzten Not
        Freunde hülflos um Dich beben:
        Dann wird über Welt und Tod
        Dich dies reine Herz erheben;
        Dann erschreckt Dich kein Gericht;
        Gott ist Deine Zuversicht.
        
Daß Du dieses Herz erwirbst,
        Fürchte Gott, und bet und wache.
        Sorge nicht, wie früh Du stirbst;
        Deine Zeit ist Gottes Sache.
        Lern nicht nur den Tod nicht scheun,
        Lern auch seiner Dich erfreun.
        
Überwind ihn durch Vertraun,
        Sprich: Ich weiß, an wen ich gläube,
        Und ich weiß, ich werd ihn schaun
        Einst in diesem meinem Leibe.
        Er, der rief: Es ist vollbracht!
        Nahm dem Tode seine Macht.
        
Tritt im Geist zum Grab oft hin,
        Siehe Dein Gebein versenken;
        Sprich: Herr, daß ich Erde bin,
        Lehre Du mich selbst bedenken;
        Lehre Du mich's jeden Tag,
        Daß ich weiser werden mag!
        
 
      