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Der Garten der Qualen

Octave Mirbeau

Kapitel II.8

Nun waren wir ganz nahe an die Glocke herangekommen.

Nur noch die hohen Zweige eines blühenden Pflaumenbaumes verhüllten theilweise die Aussicht. Wir erriethen jedoch die Glocke durch den dunkleren Schatten zwischen den Blättern und Blumen, den kleinen, puffigen, weißen, ganz runden Blumen, die Gänseblümchen ähnlich sahen.

Die Pfaue waren uns in einer Entfernung von einigen Metern gefolgt, frech zugleich und vorsichtig, den Hals ausgestreckt, indem sie über den rothen Sand die Pracht ihrer Schwanzfedern nachschleppten. Es gab auch ganz weiße darunter, von einem sammtenen Weiß, deren Brustgegend blutige Flecken trug und deren grausamer Kopf mit einem langen fächerförmigen Federdiadem geschmückt war, an dem jede der geraden Federn an der Spitze einen zitternden Tropfen rosigen Cristalls trug.

Die eisernen Tische, die Folterbänke, die fürchterlichen Instrumente wurden immer häüfiger. Im Schatten einer Riesentamarinde bemerkten wir eine Art von Rococofauteuil. Die Armlehnen waren abwechselnd aus Sägen und einer Stahlklinge gemacht, die Lehne und der Sitz eine Häufung von Eisenspitzen. An einer dieser Spitzen hing noch ein Stück Fleisch. Leicht und geschickt nahm es Clara mit der Spitze ihres Schirmes auf und warf es den gierigen Pfauen zu, die sich mit Flügelschlägen darauf stürzten und es sich mit großen Schnabelschlägen streitig machten. Einige Minuten lang gab dies ein verblüffendes Gemisch, ein Spiegeln wie von strahlenden Edelsteinen, daß ich trotz meines Ekels stehen blieb, um dies wunderbare Schauspiel anzustaunen. Auf den benachbarten Bäumen warteten Lophophoren, heilige Fasane, große Kampfhähne aus Malaia mit damascirtem Gefieder die Stunde der Festmahlzeit ab, indem sie naiv das Treiben der Pfaue beobachteten.

Plötzlich öffnete sich in der Mauer der Pflaumenbäume ein weites Loch, eine Art von Arche, die mit Blumen und Licht erfüllt war und da lag die Glocke vor uns, riesig und schrecklich. Ihre schweren Querbalken, die schwarz lackirt und mit goldigen Inschriften und rothen Masken verziert waren, glichen dem Profil eines Tempels und leuchteten seltsam im Sonnenlicht. Rund herum war der Boden ganz und gar mit einer Sandschicht bedeckt, in dem der Glockenklang erlosch. Ringsherum ging die Mauer der blühenden Pflaumenbäume, die jene dichten Blüthen trugen, die mit ihren weißen Sträußen die Enden der Zweige schmückten. Inmitten dieses rothen und weißen Zirkels war die Glocke furchtbar anzusehen. Sie glich einigermaßen einem Abgrunde in der Luft, einem aufgehängten Abgrund, der von der Erde zum Himmel aufzusteigen schien und dessen Grund man nicht sah, da sich dort stumme Schatten aufhäuften.

Und wir begriffen in diesem Augenblick, worüber die beiden Männer gebeugt waren, deren magere Leiber und Hüften in braunwollenem Stoff geschnürt uns unter dem Dom der Glocke von unserem ersten Eintritt in diesen Theil des Gartens an, erschienen waren. Sie waren über einen Leichnam gebeugt, den sie von den Schnürfesseln, von Ledergürteln befreiten, mit denen er fest umsponnen gewesen war. Der Leichnam, der eine Okerfarbe trug, war gänzlich nackt und sein Gesicht berührte den Boden. Er war furchtbar verzerrt, die Muskel schienen emporgeschnellt, die Haut trug Wellen, war zerunzelt, stellenweise wie von Geschwüren aufgetrieben. Man merkte, daß der Verurtheilte lange gekämpft hatte und vergebens seine Fesseln zu brechen versuchte und daß bei dieser verzweifelten ständigen Anstrengung die Schnur und die Lederstreifen nach und nach in das Fleisch eingetreten waren, wo sie jetzt Gräben voll von bläulichem Blut gebildet hatten, während die Haut einem grünlichen Gespinnst glich. Den Fuß auf dem Todten, den Rücken gebeugt, die beiden Arme gleich Kabeln angestrengt, zogen die Männer an den Stricken, die sie nur gleichzeitig mit Fleischfetzen abzulösen vermochten. Und aus ihren Kehlen drang ein rythmisches Stöhnen, das bald nur noch ein dumpfes Pfeifen schien.

Wir näherten uns noch mehr ...

Die Pfaue hatten Halt gemacht. Von neuen Gruppen vergrößert, füllten sie jetzt die runde Allee und die blumige Öffnung, die sie nicht zu überschreiten wagten. Wir hörten hinter uns ihr Geschrei und das dumpfe Krabbeln der Menge. Es war in der That eine Masse, die zur Schwelle eines Tempels herbeigelaufen war, eine eng aneinander gedrückte, halb erstickte, ungeduldige und durch Respect erfüllte Masse, die mit ausgestreckten Hälsen, runden Augen, starr und geschwätzig ein Mysterium vorgehen sieht, das sie nicht begreifen kann.

Wir gingen noch näher heran.

- Sieh mal, Liebling, sagte Clara zu mir, wie komisch und einzig all das ist. Ein wahres Wunder! In welchem andern Lande könnte man ein ähnliches Schauspiel finden! Ein Foltersaal, der zu einem Balle geschmückt erscheint ... Diese strahlende Menge von Pfauen, die einem Feste beiwohnen als Statisten, als Volksmenge, als Dekoration der Feierlichkeit. Könnte man nicht sagen, daß wir aus dem Leben herausgetragen sind inmitten der Phantasien und der sehr alten legendenhaften Dichtungen? Bist Du nicht wahrhaftig auch entzückt? Mir scheint es, daß ich hier stets in einem Traume lebe.

Fasane mit strahlendem Gefieder, mit langen, goldigen Schwanzblättern flogen herbei und kreuzten sich oberhalb von uns. Mehrere wagten sich von Zeit zu Zeit auf der Spitze der blühenden Bäume niederzulassen.

Clara, die allen diesen Formenlaunen und Farben dieser feenhaften Flüge folgte, begann nach einigen Minuten entzückten Schweigens von neuem:

- Bewundere doch nur, mein Liebling, und gib zu, daß die Chinesen, die so sehr von allen Leuten, die sie nicht kennen, verachtet sind, sich in Wahrheit als erstaunliche Leute enthüllen. Nicht ein Volk hat ihnen gleich verstanden die Natur zu verfeinern und zu beherrschen mit so peinlicher Intelligenz. Es sind wirklich Künstler, einzig in ihrer Art. Und großartige Dichter. Betrachte nur diesen Leichnam, der auf dem rothen Sande den Ton alter Götzenbilder hat. Betrachte ihn wohl, denn das ist außergewöhnlich. Man könnte sagen, daß die Schwingungen der Glocke, als sie noch in aller Stärke läuteten, in den Leib gleich einer harten, widerstandsfähigen Masse eingedrungen sind, daß sie die Muskel aufgeschwellt und die Adern gesprengt haben, dabei die Knochen verzogen und gebrochen. Ein einfacher Ton, der dem Ohr so sanft, so wunderbar musikalisch, dem Geiste so angenehm erregend klingt, wird hier eine tausendmal schrecklichere und schmerzhaftere Tortur als all die verwickelten Instrumente des alten Patapuff. Ist das nicht hinreißend? ... Nein, aber eine solche wundervolle Sache auszudenken, bei deren Anblick man vor Begeisterung und göttlicher Melancholie, die die verliebten Jungfern, die abends durch das freie Land gehen, zum Weinen bringt, man auch vor Leid aufheulen und sterben kann im fürchterlichsten Schmerze und zu diesen: bejammernswerthen menschlichen Rest werden kann ... Ich sage, das zeugt von Genie! ... Ach! Die bewundernswürdige Qual, die zugleich so diskret ist, da sie sich im Dunkel vollzieht und deren Schrecken, wenn man darüber ein wenig nachdenkt, doch keinem anderen gleich gemacht werden könnte. Übrigens ist diese Qual, gleich der Folter der Liebkosung, heutzutage sehr selten. Du kannst von Glück reden, daß Du sie bei Deinem ersten Besuch in diesem Garten gesehen hast. Man hat mir versichert, die Chinesen hätten sie aus Korea eingeführt, wo sie von Alters her in Brauch ist und noch häufig angewendet wird. Wir werden uns nach Korea begeben, wenn es Dir recht ist. Die Koreaner sind Folterknechte von unnachahmlicher Grausamkeit, dabei fabriziren sie die schönsten Vasen von der Welt, Vasen, die eine dicke weiße Farbe haben, die ganz einzig in ihrer Art und die in Bäder von menschlichem Samen getaucht worden sind! - Kannst Du nur so etwas begreifen! ...

Dann kam sie zu dem Leichnam zurück:

- Ich möchte wirklich wissen, wer der Mensch ist! ... Denn die Qual der Glocke wird nur bei besseren Verbrechern in Anwendung gebracht, bei feinen Leuten, bei Prinzen, die sich in Verschwörungen eingelassen haben, bei hohen Würdenträgern, die dem Kaiser nicht mehr gefallen. Es ist eine aristokratische und fast ruhmreiche Qual ...

Sie schüttelte mich am Arme:

- Das scheint Dich gerade nicht zu begeistern, was ich Dir da erzähle. Du hörst mir ja gar nicht zu. Aber bedenke doch nur: diese Glocke läutet so hell, das ist so sanft; wenn man es von der Ferne her hört, gleicht es mystischen Osterfeiern, frohen Messen, Taufen, Hochzeiten, ja, daran denkt man und dabei schließt sie den fürchterlichsten der Tode in sich. Ich finde das unerhört! ... Und Du? ...

Und da ich nicht antwortete:

- Aber sage doch, sage doch! drang sie weiter in mich, sage, daß das unerhört ist. Ich will es ... ich will es doch einmal haben ... Sei nett!

Angesichts meines ständigen Stillschweigens hatte sie einen kleinen Zornanfall.

- Wie unangenehm Du bist! rief sie. Du wirst nie die geringste Liebenswürdigkeit für mich übrig haben! ... Wodurch könnte ich denn die Runzeln von Deiner Stirn bannen? ... Ach, ich mag Dich nicht mehr lieben ... Ich habe kein Verlangen mehr nach Dir ... Heute Nacht wirst Du ganz allein im Kiosk schlafen ... Ich werde meine kleine Pfirsichblüthe aufsuchen, die viel netter ist als Du, und die Liebe besser, als dies den Männern möglich wäre, kennt ...

Ich wollte irgend etwas stammeln.

- Nein, nein ... Lassen Sie mich! ... Es ist alles zu Ende! ... Ich mag nicht mehr mit Ihnen sprechen ... Es thut mir leid Pfirsichblüthe nicht mit hieher genommen zu haben ... Sie sind unerträglich ... Sie machen mich ganz traurig ... Sie verdummen mich förmlich ... Es ist schrecklich! ... Und nun habe ich wieder einen Tag, den ich in Deiner Gesellschaft so aufregend erhofft hatte, verloren! ...

Ihr Geschwätz, ihre Stimme regten mich auf. Seit einigen Augenblicken sah ich nicht einmal mehr ihre Schönheit. Ihre Augen, ihre Lippen, ihr schweres Goldhaar, alles bis zur Glut ihres Verlangens, bis zur Ausschweifung ihrer Sünde schien mir jetzt an ihr jammervoll häßlich. Und aus ihrer geöffneten Blouse, der rosigen Nacktheit ihrer Brust, deren berauschende Düfte ich so oft eingesogen, getrunken und im wilden Biß genossen hatte, stieg ein Geruch von verwesendem Fleisch auf, aus diesem Häuflein verwesenden Fleisches, das ihre Seele vorstellte ... Mehrmals war ich versucht sie durch eine heftige Beschimpfung zu unterbrechen ... ihr mit meinen Fäusten den Mund zu verschließen ... sie zu würgen ... Ich fühlte in mir gegen dieses Weib einen so wilden Haß aufkeimen, daß ich sie plötzlich rauh am Arme ergriff und mit zorniger Stimme schrie:

- Schweigen Sie! ... Ach, so schweigen Sie doch nur! ... Sprechen Sie nie, nie wieder zu mir! ... Denn ich habe Lust, Sie zu tödten, Dämon! ... ich sollte Sie tödten und wie ein verwestes Luder sodann auf den Schindanger werfen!

Trotz meiner Aufregung erschrack ich vor meinen eigenen Worten ... Aber um sie endlich einmal unwiderruflich zu machen, wiederholte ich, indem ich ihr mit meinen verkrampften Händen den Arm zerquetschte:

- Luder! ... Luder! ... Luder! ...

Clara wich nicht zurück und zuckte nicht einmal mit den Wimpern ... Sie streckte ihren Hals aus und bot mir ihre Brust ... Ihr Antlitz wurde von ungekannter, strahlender Freude erhellt ... Sie sagte einfach, langsam, mit unendlicher Sanftmuth:

- Nun schön! ... Tödte mich, Liebling ... Ich würde so gern von Dir getödtet werden wollen, theures Herzchen! ...

Das war ein Blitz der Auflehnung in dem langen und schmerzlichen Leiden meiner Unterwerfung gewesen ... Er erlosch eben so rasch wie er aufleuchtete ... Voll Scham über diesen niedrigen beleidigenden Schrei, den ich ausgestoßen hatte, ließ ich Claras Arm los ... und mein ganzer Zorn, der nur durch nervöse Überreizung hervorgebracht worden war, schmolz plötzlich in tiefer Niedergeschlagenheit.

- Ach, Du siehst ... rief Clara, die sich meine jämmerliche Niederlage und ihren allzu leichten Triumph nicht zu Nutze machen wollte ... Du hast nicht einmal den Muth dazu, was doch so schön wäre ... Armes Baby! ...

Und als ob nichts zwischen uns vorgefallen wäre, folgte sie weiterhin mit ihren Blicken voll Leidenschaft dem scheußlichen Drama der Glocke ...

Während dieses kurzen Zwiegespräches hatten sich die beiden Männer ausgeruht. Sie schienen vollständig erschöpft ... Mager, athemlos, mit die Haut durchdringenden Rippen und fleischlosen Lenden, hatten sie nichts Menschliches mehr an sich ....Schweiß tropfte wie aus einer Dachrinne von den Spitzen ihrer Schnurbärte herab und ihre Seiten wogten wie die von Hunden gehetzter Thiere ... Aber ein Aufseher erschien plötzlich mit der Peitsche in der Hand. Er brüllte sie zornig an und schlug mit seiner Peitsche auf die knochigen Hüften der beiden jammervollen Männer, die vor Schmerz aufheulend, sich wieder an die Arbeit machten ...

Durch das Klatschen der Peitsche erschreckt, stießen die Pfaue Schreie aus und schlugen mit den Flügeln. Unter ihnen herrschte etwas wie ein Furchtaufruhr ... ein wirbelndes Gedränge, ein panisches Ausreißnehmen. Dann kamen sie nach und nach wieder beruhigt, einer nach dem andern, Paar nach Paar, Schwarm nach Schwarm zurück und nahmen ihren Platz unter dem Blumendom ein, indem sie nur noch mehr den Glanz ihrer Brust aufblähten und wilde Blicke auf den Todesschauplatz warfen ... Die Fasane, die ohne Unterlaß roth, gelb, blau und grün oberhalb des weißen Kreises herumflogen, bestickten mit auffallenden Seidentönen, zarten und wechselnden Nuancen den lichtvollen Grund des Himmels.

Clara rief den Aufseher herbei und ließ sich mit ihm in ein kurzes Zwiegespräch auf chinesisch ein, das sie mir seinen Antworten gemäß nach und nach wiedergab.

- Diese beiden armen Teufel haben die Glocke geläutet ... Und zwar zweiundvierzig Stunden lang, ohne zu trinken, ohne zu essen, ohne einen Augenblick der Ruhe!.., Glaubst Du das? ... Wie kommt es, daß sie nicht auch todt sind? ... Ich weiß wohl, daß die Chinesen nicht so wie wir beschaffen sind, daß sie in Bezug auf Ermüdung und körperlichen Schmerz, außerordentliche Fähigkeit besitzen ... So wollte ich einmal ausprobieren, wie lange ein Chinese arbeiten könnte, ohne Nahrung zu sich zu nehmen ... Zwölf Tage, mein Liebling ... Er fällt erst am Ende des zwölften Tages! ... Man möchte es nicht glauben! ... Allerdings ist es wahr, daß die Arbeit, die ich ihm zugetheilt hatte, im Vergleich zu dieser hier nichts war ... Ich ließ ihn Erde in der Sonne umgraben ...

Sie hatte, meine Beschimpfungen vergessen, ihre Stimme war wieder verliebt und zärtlich geworden, gleich als ob sie mir eine schöne Liebesgeschichte erzählte ... Sie fuhr fort:

- Du kannst Dir gar nicht vorstellen, mein Liebling, was für wilde, fortgesetzte, übermenschliche Anstrengung dazu nöthig ist, um die Glocke zu läuten und in Bewegung zu erhalten? ... Viele selbst von den Stärksten unterliegen dabei ... Es platzt ihnen eine Ader ... oder sie verrenken sich die Hüften ... und fertig ist es! ... Sie fallen plötzlich todt auf die Glocke und die nicht auf der Stelle sterben, holen sich dabei Krankheiten, die nie mehr geheilt werden können! ... Sieh' nur, wie durch das Anfassen der Stricke ihre Hände geschwollen und blutig sind! ... Übrigens scheinen sie auch verurtheilt zu sein! ... Sie sterben beim Todten und die beiden Qualen sind einander werth! ... Aber das ist gleichgültig ... man muß gut zu diesen elenden Menschen sein ... wenn der Aufseher fortgegangen sein wird, gib ihnen einige Taëls, nicht wahr?

Dann wandte sie sich wieder dem Leichnam zu:

- Ach, ja weißt Du ... ich erkenne ihn jetzt ... es ist ein dicker Bankier aus der Stadt ... er war sehr reich und bestahl Jedermann ... Aber deshalb ist er nicht zur Qual der Glocke verurtheilt worden. Der Aufseher weiß nicht genau weshalb ... man sagt, er hat an die Japaner verrathen ... Etwas muß ja doch gesagt werden ...

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als wir dumpfe Klagen, ersticktes Schluchzen vernahmen ... Das kam hinter der Mauer her, uns gegenüber, längs welcher sich Blüthen ablösten und langsam auf den rothen Sand niederfielen ... Ein Regen von Thränen und Blumen!

- Das ist die Familie ... erklärte Clara ... Sie ist dem Gebrauch folgend zur Stelle und erwartet, daß man ihr den Leib des Gefolterten ausliefert.

In diesem Augenblick drehten die beiden erschöpften Männer, die sich nur noch durch ein Wunder von Willenskraft aufrecht erhielten, den Leichnam um. Clara und ich stießen nach einander denselben Schreckensschrei aus. Sie preßte sich an mich, zerriß mir die Schultern mit ihren Nägeln und rief:

- O! ... Liebling! ... Liebling! ... Liebling! ...

Dies war der Ausruf, durch den sie stets das Übermaß ihrer Aufregung beim Schreck wie bei der Liebe ausdrückte.

Wir betrachteten den Leichnam und streckten mit der gleichen verblüfften Geberde den Hals nach dem Leichnam aus und konnten unseren Blick nicht von dem Leichnam wegwenden.

Auf seinem convulsivisch verzerrten Gesicht, dessen angespannte Muskel fürchterliche Grimassen und schreckliche Winkel abzeichneten und bildeten, grinste der verzogene Mund, der die Zähne und das Zahnfleisch entblößte, in einem furchtbaren irren Lachen, einem Lachen, das der Tod erstarrt fixirte und sozusagen in alle Falten der Haut einmodellirt hatte. Die beiden übermäßig aufgerissenen Augen starrten uns mit einem Blick an, der nicht mehr sah, in dem aber trotzdem der Ausdruck entsetzlichen Wahnsinnes blieb; dieser Blick war so wunderbar grinsend, so wahnsinnig verrückt, wie ich nie in den Höhlen von Irrenhäusern Ähnliches in den Augen eines lebenden Menschen gesehen habe.

Während ich auf seinem Leibe alle diese Muskelverzerrungen, all diese Verschiebungen der Sehnen, alle diese Verrenkungen der Knochen und in seinem Gesichte diesen lachenden Mund, diesen Wahnsinn der Augen, der den Tod überlebte, sah, begriff ich wie viel furchtbarer als bei irgend einer anderen Folter der Todeskampf dieses Mannes der zweiundvierzig Stunden lang an die Glocke gefesselt war, gewesen sein mußte. Weder das zerstückelnde Messer, noch das versengende rothglühende Eisen, noch die zerreissenden Zangen, noch die Schrauben, die die Gelenke zersprengen, die Adern platzen lassen und die Knochen wie Holzscheite zerbrechen, konnten größere Verwüstung an den Organen eines lebenden Leibes anrichten und ein Hirn mit mehr Angst und Entsetzen erfüllen, als dieses unsichtbare und unkörperliche Glockenläuten, das durch seine alleinige Wirkung alle die bekannten Folterinstrumente weit hinter sich ließ und gleichzeitig all die fühlenden und denkenden Theile eines Individuums zerfleischte, indem es den Dienst von mehr als hundert Henkern verrichtete ...

Die beiden Männer zogen wieder an den Stricken, aus ihren Kehlen kam ein pfeifender Ton, ihre Seiten wogten immer rascher. Aber die Kraft ging ihnen aus und enttropfte ihren Gliedern in Schweißströmen. Sie konnten sich jetzt kaum noch aufrecht erhalten und mit ihren steifen, gelähmten Fingern an den Lederfesseln ziehen ...

- Ihr Hunde! heulte der Aufseher ...

Ein Peitschenhieb traf sie an den Lenden, doch lehnten sie sich nicht einmal mehr gegen den Schmerz auf. Es schien, daß ihre ausgerenkten Nerven jedes Gefühl verloren hätten. Sie sanken immer tiefer in die Kniee, welche immer mehr und mehr zitternd aneinander schlugen. Was ihnen noch unter der geschundenen Haut an Muskeln übrig geblieben war, verzog sich in convulsivischen Zuckungen ... Plötzlich ließ einer von den beiden, der am Rande der Erschöpfung angelangt war, die Fesseln los, stieß einen leisen, heiseren Klagelaut aus, streckte die Arme nach vorwärts aus und fiel neben dem Leichnam, mit dem Gesichte gegen den Boden gekehrt nieder, wobei seinem Munde ein Strom schwarzen Blutes entquoll.

- Auf! ... Feigling! ... auf, Du Hund! ... schrie der Aufseher noch ...

In vier Ansätzen pfiffen die Peitschenschläge durch die Luft und klatschten auf den Rücken des Mannes nieder ... Die Fasane, die auf den blumigen Ästen saßen, flogen mit lautem Flügelrauschen fort. Ich vernahm hinter uns das erschreckte Geräusch der Pfaue ... Aber der Mann erhob sich nicht ... Er rührte sich nicht mehr und die Blutlache auf dem Sande wurde immer größer ... Der Mann war todt! ...

Da zog ich Clara fort, deren Fingerchen mir in die Haut drangen ... Ich wußte, daß ich todtenbleich geworden war und ging schwankend gleich einem Betrunkenen ...

- Das ist zu viel! ... Das ist zu viel! ... wiederholte ich ohne Unterlaß.

Und Clara, die mir willenlos folgte, wiederholte gleichfalls:

- Ach, siehst Du, mein Liebling! ... ich wußte es wohl ... habe ich Dich belogen?

Wir schlugen den Weg ein, der zum Centralbecken führte und die Pfaue, die uns bis dahin gefolgt waren, verließen uns plötzlich und vertheilten sich sehr geräuschvoll auf die Baumgruppen und die Wiesen des Gartens.

Dieser sehr breite Weg war an beiden Seiten von abgestorbenen Bäumen eingefaßt, von ungeheuern Tamarinden, deren dicke kahle Zweige sich vom Himmel in harten Arabesken abhoben. Eine Nische war in jeden dieser Bäume eingehauen. Die Mehrzahl war leer, einige enthielten schrecklich verzogene, häßlichen und obscönen Qualen unterworfene Männer- und Frauenleiber. Vor den besetzten Nischen stand eine Art von Gerichtsschreiber, in schwarzem Gewande und hielt ernst, zugleich mit einem Schreibzeug auf dem Bauche, ein Protokoll in der Hand.

- Das ist die Straße der Untersuchungsgefangenen ... sagte Clara zu mir ... Und die Leute, die Du neben ihnen stehen siehst, verzeichnen die Geständnisse, die der andauernde Schmerz diesen Unglücklichen entreißen könnte ... Sie gestehen aber nur selten ... sie ziehen vor so zu sterben, um ihren Todeskampf nicht durch die Käfige des Bagno zu schleppen und schließlich an anderen Qualen zu Grunde zu gehen ... Im Allgemeinen, politische Verbrecher ausgenommen, mißbrauchen die Gerichte die Untersuchungshaft nicht ... Sie verurtheilen im Block, truppenweise, auf gut Glück ... Übrigens siehst Du, daß die Untersuchungsgefangenen nicht gerade zahlreich und die Mehrzahl der Nischen leer sind ... Es ist aber dennoch wahr, daß deren Gedanke genial zu nennen ist. Ich glaube wohl, daß sie dies aus der griechischen Mythologie übernommen haben. Das ist in schrecklicher Weise eine Umformung jener reizenden Sagen von den Hamadryaden, die in Bäumen eingeschloßen waren!

Clara näherte sich einem Baume, in dem noch ein junges Weib röchelte. Sie war mit den Handgelenken an eine Eisenstange gehängt und die Gelenke waren durch zwei mit aller Gewalt zusammengepreßte Holzscheite vereinigt. Eine ätzende Schnur aus Kokusfasern, mit pulverisirtem rothem Pfeffer und Senf bedeckt und in eine Salzlösung getaucht, umwand ihre beiden Arme.

- Dieser Strick bleibt solange befestigt, beliebte meine Freundin zu bemerken, bis die Glieder zur vierfachen Länge ihrer natürlichen Ausdehnung aufgeschwollen sind ... Dann nimmt man sie ab und die Pestbeulen, die sie hervorbringen, zerplatzen oft zu scheußlichen Wunden. Daran stirbt man oft, nie jedoch gesundet man wieder.

- Aber, wenn der Untersuchungsgefangene unschuldig erkannt wird? fragte ich.

- Nun ja ... was ist da zu thun? rief Clara.

Ein anderes Weib befand sich in einer anderen Nische, mit ausgestreckten oder vielmehr auseinander gezerrten Beinen, während ihr Hals und ihre Arme in eisernen Ringen steckten ... Ihre Augenlider, ihre Nasenlöcher, ihre Lippen und Geschlechtstheile waren mit rothem Pfeffer eingerieben und zwei Stifte zerquetschten ihr die Spitzen der Brüste ... Weiterhin war ein junger Mann an einem Strick unter den Achselhöhlen aufgehängt; ein großer Steinblock hing ihm an den Schultern, so daß man das Krachen der Gelenke hörte ... Ein Anderer wurde mit zurückgelehntem Oberkörper durch einen Eisendraht im Gleichgewicht gehalten, der den Hals mit den Knöcheln verband, spitze, schneidende Steine waren ihm zwischen die Kniekehlen gesteckt ... Die Nischen in den Stämmen wurden leer. Von Zeit zu Zeit sah man nur noch einen Gefesselten, einen Gekreuzigten, einen Gehängten mit geschlossenen Augen, der zu schlafen schien und vielleicht bereits todt war. Clara sagte und erklärte nichts mehr ... Sie lauschte dem schweren Fluge der Geier, welche oberhalb der kahlen Äste flatterten und dem noch höheren Krähen der Raben, die in unzähligen Schwärmen über den Himmel zogen ...

Die traurige Tamarindenallee endete auf einer weiten, mit Mohnblumen bepflanzten Terrasse, von wo wir zum Becken herabstiegen ...

Schwertlilien erhoben ihre langen Stengel, die außergewöhnliche Blumen trugen, mit bunten Blüthenblättern gleich alten Sandsteinvasen, kostbar emaillirte Veilchenblüthen mit Bluttupfen, finstere purpurfarbene, blau mit Orangenocker geflammte, schwarzsammtene mit Schwefelkelchen ausgestattete Schwertlilien ... Einige riesig und verzerrt gleich kabalistischen Schriftzeichen ... Die Wasserrosen und Lotusblumen breiteten auf dem Wasser ihre großen erschlossenen Blumen aus, die mir wie abgehauene schwimmende Häupter vorkamen ... Wir beugten uns einige Minuten lang über das Geländer der Brücke hinab und betrachteten schweigend das Wasser. Ein riesiger Goldkarpfen, von dem man nur den glänzenden Kopf sah, schlief unter einem Blatte und Fischchen glitten zwischen dem Tang und den Wurzeln, gleich den rothen Gedanken im Hirne eines Weibes, hin und her.

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