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Der Garten der Qualen

Octave Mirbeau

Kapitel I.2

Es sei mir noch vergönnt einen kurzen Rückblick abzuhalten. Vielleicht ist es nicht gleichgültig für meine Leser, wenn ich ihnen sage, wer ich bin und woher ich stamme ... Die Ironie meines Schicksals wird dadurch nur noch besser erklärt werden.

Ich bin in der Provinz in einer Familie des kleinen Bürgerthums geboren worden, dieses braven, haushälterischen und tugendhaften Kleinbürgerthums, von dem in offiziellen Reden behauptet wird, daß es die Seele Frankreich's sei ... Na wahrhaftig! ich bin trotzdem nicht gerade stolz darauf.

Mein Vater war Kornhändler. Er war ein rauher, grober Mensch, der sich aber ausgezeichnet auf das Geschäft verstand. Er stand im Rufe darin sehr geschickt zu sein, und seine große Geschicklichkeit bestand darin "die Leute hereinzulegen", wie er sich ausdrückte. Jemanden über die Qualität der Waare und das Gewicht täuschen, sich zwei Francs für einen Gegenstand, der nur zwei Sous kostete, und wenn es ohne zu großen Skandal angieng, sich zweimal zahlen zu lassen, das waren seine geschäftlichen Prinzipien. Er lieferte zum Beispiel niemals Hafer, ohne ihn vorher ganz gehörig in's Wasser getaucht zu haben. Auf diese Weise ergaben die aufgeschwemmten Körner das doppelte im Litermaaß und auch an Gewicht; besonders wenn feiner Sand hinzu gethan worden war, ein Vorgang, den mein Vater stets nach bestem Wissen und Gewissen ausführte. Er verstand es auch richtig und gerecht, Kornbrand und andere giftige Samen in die Säcke zu mischen, die beim Schwingen des Getreides ausgeschieden worden waren. Kein Mensch wußte auch besser als er verdorbenes Mehl frischem zuzutheilen, denn beim Geschäft darf nichts verloren gehen und alles wiegt schwer.

Meine Mutter, die noch wüthender hinter schlechten Gewinnsten her war, unterstützte ihn in seinen genialen Betrügereien und hielt steif und mißtrauisch die Kassa, etwa wie man einen Wachposten vor dem Feinde bezieht.

Als eifriger Republikaner und aufrichtiger Patriot - er lieferte auch für das Heer - als unbeugsamer Mann der Moral, kurz als ehrenwerther Mensch im volksthümlichen Sinne dieses Wortes, zeigte sich mein Vater mitleidslos und unerbittlich gegen die Unredlichkeit anderer, besonders wenn sie ihm selbst Nachtheil brachte. Da legte er wild über die Nothwendigkeit von Ehre und Tugend los. Eine seiner großen Ideen bestand darin, daß man in einem gut geordneten Volksstaate diese Eigenschaften obligatorisch machen müsse, gleich der Erziehung, der Steuer und dem Loosziehen für den Militärdienst. Eines Tages bemerkte er, daß ihn ein Fuhrmann, der seit fünfzehn Jahren bei ihm im Dienste stand, bestehle. Er ließ ihn ohne Weiteres verhaften. Während der Verhandlung vertheidigte sich der Kärrner so gut er eben konnte.

- Aber beim gnädigen Herrn war immer nur davon die Rede jemanden "herein" zu legen. Wenn er einem Kunden "einen tollen Streich" gespielt hatte, rühmte sich der gnädige Herr dessen, wie einer guten That. "Es liegt alles daran Geld aus den Leuten zu ziehen, sagte er, es ist nebensächlich woher und in welcher Weise man es nimmt. Das ganze Geheimnis des Geschäftes besteht darin, ein altes Kaninchen für eine schöne Kuh zu verkaufen" ... Nun schön, ich habe es gerade so gemacht wie der gnädige Herr mit seinen Kunden ... Ich habe ihn herein gelegt ...

Dieser Cynismus wurde von den Richtern sehr schlecht aufgenommen. Sie verurtheilten den Fuhrmann zu zwei Jahren Gefängnis, nicht allein weil er einige Kilogramm Getreide unterschlagen hatte, sondern hauptsächlich, weil er eines der ältesten Kaufhäuser der Gegend ... ein Haus, das im Jahre 1794 gegründet worden war, verunglimpfte, dessen althergebrachte, stramme und sprichwörtliche Ehrbarkeit von Vater auf den Sohn die Stadt verschönte.

Ich erinnere mich noch deutlich, daß am Abend nach diesem hervorragenden Urtheilsspruch, mein Vater einige Freunde an seinem Tisch vereint hatte, die gleich ihm Geschäftsleute und von dem leitenden Grundsatz durchdrungen waren, daß "die anderen herein zu legen", die Seele des Handels sei. Sie können sich lebhaft vorstellen, wie sehr man sich über die herausfordernde Haltung des Fuhrmannes entrüstete. Bis um Mitternacht wurde überhaupt von sonst anderem nicht gesprochen und unter dem Geschrei, unter den Geistesblitzen, dem Gezänk und den Gläschen Branntwein, durch die dieser denkwürdige Abend verziert war, blieb mir diese Vorschrift im Gedächtnis, die sozusagen die Moral dieses Abenteuer's und zugleich auch das Leitmotiv meiner Erziehung war:

- Jemandem etwas fortnehmen und es behalten, ist Diebstahl ... Jemandem etwas fortnehmen und es einem andern weitergeben, indem man dafür möglichst viel Geld eintauscht, das ist Handel ... Der Diebstahl ist umso dümmer, als er sich mit dem einfachen, häufig gefährlichen Nutzen begnügt, während der Handel zweifellos doppelte Früchte trägt ...

In dieser moralischen Atmosphäre wuchs ich heran und entwickelte ich mich, gewissermaßen allein, ohne einen andern Führer als das tägliche Beispiel meiner Eltern. Bei kleinen Handelsleuten bleiben die Kinder im Allgemeinen sich stets überlassen. Man hat nicht Zeit dazu, sich mit ihrer Erziehung zu befassen. Sie bilden sich wie sie können, je nach ihrer Natur und den verderblichen Einflüßen dieses gewöhnlich niederdrückenden und verdummten Milieu's. Aus eigenem Antriebe, ohne daß mich jemand dazu genöthigt hätte, betheiligte ich mich nachahmend, sowie auch dem eigenen Erfindungsgeiste folgend, an den Familienschwindeleien. Vom Alter von zehn Jahren an hatte ich keine andere Lebensauffassung als Diebstahl und war überzeugt - o, in recht naiver Weise, ich versichere Sie, - daß "die Leute hereinlegen" die einzige Basis aller sozialen Beziehungen bilde.

Die Schule entschied über die bizarre und gewundene Richtung, die ich in meinem Dasein haben sollte; denn dort lernte ich denjenigen kennen, der später mein Freund und der berühmte Minister Eugène Mortain wurde.

Als Sohn eines Schankwirths war er auf Politik dressirt worden, wie ich auf den Handel, durch seinen Vater, der der Hauptwahlagent der Gegend, der Vicepräsident der Gambettatreuen Vereine, der Gründer verschiedener Liguen, Widerstandsgruppen und Handwerksgenossenschaften war. Eugène bildete in sich, von der zartesten Kindheit an, die Seele eines "wirklichen Staatsmannes".

Obwohl er eine Freistelle inne hatte, hatte er uns doch von aller Anfang an zu imponiren verstanden, sowohl durch seine sichtliche Überlegenheit in Bezug auf Frechheit und Schamlosigkeit, als auch durch eine Art von feierlicher, jedoch leerer Phraseologie, die unsere Begeisterung auf die Spitze trieb. Ferner hatte er von seinem Vater die einträgliche und beherrschende Manie des Organisierens geerbt. Im Verlaufe von wenigen Wochen hatte er die Schuljungen in alle möglichen Vereine und Untervereine, Gesellschaften und Untergesellschaften eingetheilt, zu deren Präsidenten, Sekretär und Schatzmeister er sich gleichzeitig ernannte. Es bestand da ein Verein der Ballspieler, Kreiseldreher, Bockspringer und Fußläufer, die Gesellschaft des Reckes, die Trapezliga, das Syndikat der Sackhupfer u.s.w. Jedes Mitglied dieser verschiedenen Vereinigungen war verpflichtet der Centralkasse, das heißt der Tasche unseres Kameraden, einen monatlichen Beitrag von fünf Sous zu liefern, der nebst anderen Vortheilen auch das Abonnement für ein vierteljährig erscheinendes Journal umschloß, welches Eugène Mortain zur Propaganda für die Ideen-und Interessenvertheidigung dieser zahlreichen "autonomen und solidarischen" Genossenschaften, wie er stolz erklärte, herausgab.

Schlechte Instinkte, die uns gemeinsam waren, sowie eine ähnliche Genußsucht, näherten uns beide rasch. Aus unserem engen Einvernehmen ergab sich eine wüste, beständige Ausbeutung unserer Kameraden, die stolz darauf waren, ein Syndicat an ihrer Spitze zu sehen ... Ich wurde mir darüber klar, daß nicht ich der Bedeutendere in diesem mitschuldigen Verhältnis war, aber gerade auf Grund dieser Erkenntnis klammerte ich mich nur noch fester an den Glücksstern dieses ehrgeizigen Genossen. Wenn wir auch nicht redlich theilten, so war ich doch stets sicher einige Brocken zu erhaschen ... Damals genügten mir diese vollständig. Leider habe ich aber immer nur Brocken von den Kuchen, die mein Freund verschlang, erhalten.

Ich traf Eugène später während einer schwierigen und schmerzlichen Periode meines Lebens wieder. Infolge des ewigen "Reinlegens der Leute" hatte sich mein Vater schließlich selbst hereingelegt, und nicht nur im bildlichen Sinne, wie er es in Bezug auf seine Kunden meinte. Eine unglückselige Lieferung, die, wenn ich mich genau erinnere, eine ganze Kaserne vergiftete, war der Anlaß dieses bedauerlichen Vorfalles, dem der vollständige Zusammenbruch unseres im Jahre 1794 gegründeten Geschäftes krönte. Mein Vater hätte vielleicht die Entehrung überlebt, denn er kannte wohl die unendliche Nachsicht seiner Zeitgenossen; er konnte aber den Ruin nicht überleben. Ein Schlaganfall raffte ihn eines schönen Abends dahin. Er starb und ließ die Mutter und mich mittellos zurück.

Da ich nun nicht mehr auf seine Unterstützung rechnen konnte, sah ich mich gezwungen, mich allein durchzuschlagen, entriß mich dem mütterlichen Jammer und eilte nach Paris, wo mich Eugène Mortain so liebenswürdig als nur möglich aufnahm.

Er gelangte nach und nach zu immer höheren Stellen; dank geschickt benützten parlamentarischen Protektionen, dank der Biegsamkeit seiner Natur, seiner vollkommenen Skrupellosigkeit begann er von sich in günstiger Weise, in der Presse, der Politik und der Finanzwelt reden zu machen. Von allem Anfang an benützte er mich zu schmutzigen Geschäften und wurde auch meinerseits, da ich ihm ständig wie sein Schatten folgte, gleich ihm ein wenig berühmt, woraus ich aber nicht wie ich es hätte thun sollen, Nutzen zu ziehen verstand. Aber die Consequenz in schlechten Dingen fehlt mir leider am allermeisten. Nicht daß ich vielleicht verspätete Gewissensbisse, Skrupel oder vorübergehende Anwandlungen von Ehrbarkeit fühlte; es liegt in mir eine verteufelte Phantasie, eine unberechenbare und unerklärliche Perversität, die mich plötzlich ohne sichtliche Ursache zwingt, die besteingefädelten Geschäfte aufzugeben und Kehlen, die ich schon ausgezeichnet würgte, loszulassen. Mit den praktischen Fähigkeiten erster Güte, meinem klaren, scharfen Sinn für das Leben, einer Kühnheit, die selbst das Unmögliche ins Auge faßte, einer außergewöhnlichen Promptheit und Geschicklichkeit das Unwahrscheinliche zu verwirklichen, verband ich nicht die einem Manne der That nothwendige Zähigkeit. Vielleicht ist ein entgleister Dichter in dem Schurken, der ich bin, verborgen? ... Vielleicht ein Trugbild, dem es Spaß macht sich selbst zu betrügen?

Trotzdem sorgte ich für die Zukunft vor, denn ich fühlte, daß mit tödtlicher Sicherheit ein Tag kommen würde, an dem mein Freund Eugène den Wunsch verspüre, sich meiner zu entledigen, da ich ihm ohne Unterlaß eine unbequeme Vergangenheit vorstellte ... In Hinsicht darauf war ich so geschickt, ihn in allerlei schmutzige Geschichten zu verwickeln, deren unanfechtbare Beweisstücke ich vorsorglich in Händen behielt. Bei der Gefahr, endgiltig gestürzt zu werden, mußte Eugène mich ständig, gleich einer Kette mit sich herumziehen.

In der Erwartung der höchsten Ehren, zu denen ihn die krumme, trübe Fluth der Politik trieb, sei hier, zwischen anderen ehrbaren Sachen, eine Probe seiner Kabalen und bevorzugten Beschäftigung angeführt.

Eugène hatte eine officielle Maitresse, damals hieß sie Gräfin Borska. Sie war nicht mehr allzu jung, doch noch hübsch und begehrenswerth und galt bald als Polin, bald als Russin, sowie auch häufig als Österreicherin, weshalb sie selbstverständlich als deutsche Spionin angesehen wurde. Infolge dessen wurde ihr Salon von unseren berühmtesten Staatsleuten stark besucht. Es war dort viel von Politik die Rede und inmitten eifriger Flirts wurden ansehnliche, verdächtige Geschäfte eingeleitet. Unter den eifrigsten Gästen des Salons war ein levantinischer Geldmann zu bemerken, der Baron K ..., eine schweigsame Persönlichkeit, mit einem fahlsilbernen Gesichte und todten Augen, der die Börse durch seine ungeheuren Unternehmungen in Aufruhr versetzte. Man wußte oder wenigstens erzählte man sich, daß hinter dieser undurchdringlichen und stummen Maske eines der mächtigsten Kaiserreiche Europa's thätig sei. Dies war natürlich nichts als eine romantische Erfindung, denn in diesen verderbten Sphären weiß man nie was man mehr bewundern soll, ihre Corruption oder ihre eitle Dummheit. Wie dem auch sei, die Gräfin Borska und mein Freund Eugène Mortain wünschten lebhaft sich an dem Spiele des geheimnißvollen Baron's zu betheiligen.

Umso lebhafter, als dieser dem vorsichtigen, doch bemerkbaren Entgegenkommen einige nicht weniger vorsichtige und bemerkbare Kälte entgegensetzte. Ich glaube sogar, daß diese Kälte sich bis zu einem boshaften Rath verstiegen hatte, der für unsere Freunde eine verhängnisvolle Pleite zur Folge hatte. Da waren sie denn auf den Gedanken gekommen, auf den widerspänstigen Bankier ein sehr hübsches junges Weib, die intime Freundin des Hauses, zu hetzen und mich gleichzeitig auf dieses hübsche, junge Weib loszulassen, das von ihnen bearbeitet war und durchaus nicht abgeneigt schien uns günstig aufzunehmen, den Bankier als den ernsthaften Freund und mich zum Vergnügen. Ihre Verechnung war einfach und ich hatte sie auf den ersten Blick begriffen: es galt mich auf den Platz zu begeben und durch das Weib die Geheimnisse des Baron's, die ihm in Augenblicken zärtlicher Selbstvergessenheit entschlüpfen würden, zu erfahren und meinen Freunden mitzutheilen! ... Man hätte dies Concentrationspolitik nennen können.

Leider brachte der Dämon der Perversität, der mich im entscheidenden Augenblick, gerade als ich handeln sollte, heimsuchte, es zu Stande, daß die Sache einen anderen Verlauf nahm, und der schöne Plan jämmerlich entgleiste. Bei dem Diner, das diese echt pariserische Vereinigung besiegeln sollte, benahm ich mich zu dem jungen Weibe so schuftig, daß sie thränenüberströmt, schamerfüllt und wüthend inmitten des öffentlichen Aufruhres den Salon verließ, und unserer beiden Liebesbezeigungen entbehrend, nach Hause zurückkehrte.

Das kleine Fest wurde dadurch merklich abgekürzt ... Eugène brachte mich im Wagen nach Hause. Wir fuhren in tragischem Schweigen durch die Champs-Elysées.

- Wo soll ich Dich abgeben? fragte mich der große Mann, als wir um die Ecke der Rue Royale bogen.

- In der Spielhölle auf dem Boulevard ... antwortete ich grinsend ... Mich eilt ein wenig reine Luft zu athmen, in Gesellschaft anständiger Leute ...

Und plötzlich klopfte mich mein Freund mit entmuthigter Geberde auf die Kniee und - o, ich werde mein ganzes Leben lang den sinstern Ausdruck seines Mundes und seinen haßerfüllten Blick vor mir haben - seufzte.

- Ach was! ... ach was! ... Aus Dir wird nie etwas Vernünftiges werden.

Er hatte Recht ... Und diesmal konnte ich ihm nicht vorwerfen, daß es seine Schuld gewesen, war ...

Eugène Mortain gehörte jener Schule von Politikern an, die Gambetta unter dem berühmten Namen die Opportunisten, gleich einer Bande verhungerter Freibeuter auf Frankreich loshetzte. Er strebte nur nach der Macht um des materiellen Genußes Willen, der damit verbunden ist und um des Geldes halber, das geschickte Leute wie er aus schmutzigen Quellen zu ziehen wissen. Ich weiß übrigens nicht weshalb ich Gambetta allein die historische Ehre belassen soll, diese wüste Vertheilung der Jagdabfälle an die Hunde erdacht und entfesselt zu haben, die noch heute trotz aller Panamaskandale im Gange ist. Sicherlich liebte Gambetta die Corruption; es gab in diesem redewüthigen Demokraten einen Wollüstling, oder vielmehr einen Dilettanten der Wollust, der sich an menschlichem Verwesungsgeruch entzückte; aber es muß zu seiner Entschuldigung und zum Ruhme seiner Freunde gesagt werden, daß diese, mit denen er sich umgeben hatte, und welche mehr der Zufall als eine vernünftige Auswahl an sein kurzes Glück geheftet hatte, daß alle diese Leute - sagen wir - wohl im Stande waren sich auf die ewige Beute aus eigenem Antriebe zu werfen, in die schon zahllose Kinnbacken ihre wüthenden Zähne geschlagen hatten.

Ehe Eugène Mortain in die Kammer gewählt wurde, war er durch eine ganze Reihe von Berufen gegangen - selbst durch die niedrigsten - die schändlichsten - die dunkelsten - des Journalismus. Man kann sich ja nicht immer seine ersten Versuche auswählen, man greift eben zu wo sich etwas findet ... Seine Einweihung ins Pariser Leben war gründlich und rasch - und dennoch wohlüberlegt - ich meine jenes Leben, das von den Redactionsräumen sich im Vorübergehen an der Polizeipräfectur, zum Parlament begibt. Da der brave Eugène von dringlicher Bedürfnis gequält wurde und kostspielige Genußsucht zeigte, wurde keine bedeutendere Erpressung oder sonstige unsaubere Geschichte in Scene gesetzt, deren geheimnißvolle und wüthende Seele er nicht in gewisser Weise gewesen wäre. Er hatte den Gaunerstreich fertig gebracht, einen großen Theil der Presse zu einem Syndicat zu vereinigen, das nunmehr gemeinsam zu Werke gieng. Ich kenne in der beschriebenen Art Combinationen von ihm, die echte Meisterwerke sind, und in dem kleinen Provinzler, der sich jedoch rasch abzuschleifen verstanden hatte, einen außerordentlichen Psychologen und einen bewunderungswürdigen Organisator der schlechten Instinkte der Entgleisten, enthüllte. Aber er besaß die Bescheidenheit sich nicht der Schönheiten seiner Kniffe zu rühmen und indem er sich geschickt anderer Leute bediente, seine Person in Stunden der Gefahr niemals auszusetzen. Mit ständiger Geschicklichkeit und prachtvollem Verständnis seines Manöverterrains wußte er stets den stinkenden Schmutzfleck des Strafgesetzbuches zu vermeiden, wobei so viele andere plump zu Falle kamen. Es ist wahr, daß meine Unterstützung - ich sage dies ohne falschen Stolz - ihm bei manch einem Anlaß von Nutzen war.

Im übrigen war er ein reizender Junge, ja wahrhaftig, ein reizender Junge. Man konnte ihm nur linkisches Benehmen zum Vorwurf machen, ständiges Durchleuchten seiner Provinzerziehung, und gewöhnliche Einzelheiten seiner all zu neuen Eleganz, die sich etwas protzenhaft aufdrängte. Aber all dies war nur äußerer Schein, der unzulänglichen Beobachtern alles verbarg, was sein Geist an seinen Fähigkeiten, verblüffendem Spürsinn und erstaunlicher Biegsamkeit besaß, sowie was seine Seele an wilder, schrecklicher Zähigkeit enthielt. Um seine Seele in ihrer ganzen Nacktheit zu überraschen, mußte man die beiden Falten gesehen haben - ach, wie oft bekam ich diese leider zu Gesicht? - die in gewissen Augenblicken die Mundwinkel herabfallen ließen und seinem Gesichte einen fürchterlichen Ausdruck gaben ... Ach ja! er war ein reizender Mensch!

Durch geschickt veranstaltete Duelle brachte er das Übelwollen, das sich um eine neue Persönlichkeit herum geltend macht, zum Schweigen und seine natürliche Lustigkeit, sein gutmüthiger Cynismus, den man willig als ein liebenswürdiges Paradox behandelte, nicht minder auch seine einträglichen Liebesabenteuer, die viel Aufsehen machten, errangen ihm vollends einen anfechtbaren Ruf, der jedoch für den künftigen Staatsmann, der noch ganz andere Existenzen sehen sollte, ausreichte. Er besaß die wundervolle Gabe fünf Stunden lang über irgend ein Thema zu reden, ohne aber dabei auch nur einen einzigen Gedanken zu ändern. Seine unerschöpfliche Beredsamkeit ergoß sich ohne Halt zu machen, ohne müde zu werden, in dem langsamen, eintönigen, zum Selbstmord treibenden Regen des politischen Wortschatzes, ebensowohl über Fragen der Marine, als über Schulreformen, Finanzen oder die schönen Künste, über Landwirthschaft sowohl, als auch über Religion. Die Parlamentsjournalisten erkannten in ihm ihre alles umfassende Incompetenz wieder, und spiegelten ihr geschriebenes Geschwätz in seinem gesprochenen Kauderwälsch. Er war diensteifrig, wenn ihn das nichts kostete, freigebig, sogar verschwenderisch, wenn ihm dies viel einbringen konnte, anmaßend und knechtisch, je nach den Ereignißen und Menschen, skeptisch ohne Eleganz, verderbt ohne Raffinement, enthusiastisch ohne spontane Begeisterungsfähigkeit, geistreich ohne zu verblüffen, was ihn aller Welt sympathisch machte. Folglich überraschte und entrüstete sein rascher Aufschwung Niemanden. Er wurde sogar günstig von den verschiedenen politischen Parteien aufgenommen, denn Engène galt nicht als wilder Sektirer, entmuthigte keine Hoffnung, keinerlei Ehrgeiz und man wußte sehr genau, daß man sich gegebenen Falles mit ihm einigen könnte. Es kam dann eben nur auf die Höhe des Preises an.

So beschaffen war der Mann, so "der reizende Mensch", auf den ich meine letzten Hoffnungen gesetzt hatte und der thatsächlich Leben und Tod in Betreff auf mich in Händen hielt.

Man wird bemerken, daß ich mich, in diesem flüchtig hingeworfenen Bilde meines Freundes, bescheiden versteckt habe, obwohl ich ganz gehörig und durch oft merkwürdige Mittel an seinem Glück mitgearbeitet habe. Ich könnte eine ganze Menge Geschichten erzählen, die, wie Sie mir glauben werden, nicht gerade erbaulich sind. Wozu aber eine Generalbeichte, da man doch alle meine dunklen Thaten erräth, ohne daß ich sie deutlicher zu bezeichnen brauche? Und dann blieb meine Rolle im Verhältnis zu diesem kühnen und gewiegten Schufte stets - ich will nicht gerade sagen unbedeutend, o nein! ... auch nicht verdienstvoll, sonst würden Sie mir ja ins Gesicht lachen - aber sie blieb so ziemlich geheim. Gestatten Sie mir diesen Schatten zu bewahren, der doch gar nicht so diskret ist, und mit dem ich mich während der Jahre voll finsteren Kampfes und lichtscheuer Machenschaften umhüllte ... Eugène "gestand mich nicht ein" ... und ich selbst spürte durch einen Rest merkwürdigen Schamgefühl's zuweilen unwiderstehlichen Ekel davor, als "sein Strohmann" zu gelten.

Übrigens kam es oft vor, daß ich ihn monatelang aus dem Gesicht verlor, daß ich ihn "versetzte" wie man zu sagen pflegt, da ich in den Spielhöllen, an der Börse oder in den Toilettezimmern galanter Dämchen den nöthigen Lebensunterhalt fand, während ich mich müde fühlte die Politik auszusaugen, zumal dies meinem Geschmack für Faulheit und Unvorhergesehenes besser paßte ... Zuweilen wurde ich plötzlich von einer poetischen Stimmung ergriffen und verbarg mich in einem verlornen Winkel des Landes, athmete im Angesichte der Natur Reinheit, Schweigen und moralische Wiedergeburt ein, was leider nie von langer Dauer war .... Dann kam ich in Stunden schwieriger Krisen wieder zu Eugène zurück. Er nahm mich nicht stets mit der wohlwollenden Freundlichkeit, die ich von ihm verlangte, auf. Es war klar, daß er sich gerne meiner entledigt hätte. Doch mit einem kurzen, harten Zügelgriff rief ich ihn zur Wirklichkeit unserer gegenseitigen Lage zurück.

Eines Tages sah ich deutlich in seinen Augen eine mörderische Flamme aufleuchten. Ich beunruhigte mich nicht, legte ihm mit einer schweren Bewegung die Hand auf die Schulter, wie dies wohl der Gensdarm mit einem Diebe macht und erklärte mit ruhiger Unverschämtheit:

- Nun und dann? ... Wozu würde Dir dies dienen? ... Sogar mein Leichnam würde dich anklagen ... Sei doch nicht so dumm! ... Ich habe Dich alles erreichen lassen, was Du nur wolltest ... Niemals habe ich Dich in Deinem Ehrgeiz behindert ... Im Gegentheil ... ich habe für Dich gearbeitet ... soviel ich nur konnte ... in loyalster Weise ... nicht wahr? Glaubst Du denn, daß es mir Spaß macht, wenn ich Dich so hochgestellt sehe, wie Du Dich im Lichte brüstest, und mich, wie ich thöricht im Drecke wate? ... Und dennoch könnte ich durch ein Schnippchen dieses herrliche Vermögen, das so mühsam durch uns beide erworben wurde ....

- Oho! durch uns beide ... zischte Eugène ...

- Ja, durch uns beide, Du Schuft! ... wiederholte ich, außer mir über diese falschangebrachte Berichtigung ... Ja, durch ein Schnippchen ... durch einen Hauch ... kann ich, wie Du es wohl weißt, dieses wundervolle Vermögen vernichten ... Ich brauche nur ein Wort zu sagen, Du Schurke, um Dich von Deiner Macht herab in das Bagno zu stürzen und aus dem Minister, der Du bist - ach, das ist des Schicksals bittere Ironie! - den Galeerensklaven zu machen, der Du sein solltest, wenn es noch etwas Gerechtigkeit gäbe und ich nicht der gemeinste Feigling wäre ... Nun also! ... ich thue diese Bewegung nicht, ich spreche dieses Wort nicht aus ... Ich lasse Dich die Bewunderung der Leute und die Achtung der fremden Höfe entgegennehmen ... weil ich ... siehst Du ... weil ich dies ungeheuer komisch finde ... Nur will ich meinen Antheil haben ... verstehst Du! ... meinen Theil ... Und was verlange ich denn eigentlich von Dir? Es ist ja blödsinnig unbedeutend, was ich von Dir verlange ... Ein Nichts ... Brocken ... während ich alles fordern könnte ... alles ... alles ... alles ...! Ich bitte Dich, reize mich nicht noch mehr ... bringe mich nicht zum Äußersten ... zwinge mich nicht ein possenhaftes Drama aufzuführen ... Denn an dem Tage, an dem ich genug von diesem Leben habe, genug von dem Schmutze, von diesem Schmutze - von Deinem Schmutze ... - dessen unerträglichen Gestank ich stets um mich herum rieche ... nun wohl, an jenem Tage wird Seine Exellenz Eugène Mortain nicht gerade lachen ... das schwöre ich Dir, alter Junge!

Da sagte Eugène mit verlegenem Lächeln, während seine Mundwinkel herabsanken und seiner ganzen Physionomie den doppelten Ausdruck gemeiner Furcht und machtlosen Verbrechens gaben:

- Es ist doch wahnsinnig von Dir, mir alle diese Geschichten zu erzählen ... Und aus welchem Anlaß? ... Habe ich Dir denn irgend Etwas verweigert, Du Milchgesicht? ...

Und heiter, seine Geberden und Grimassen vermehrend, mit welchen er mich betäubte, fügte er in komischem Tone hinzu:

- Willst Du das Kreuz der Ehrenlegion?

Ja wahrhaftig, er war ein reizender Mensch.

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