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Der Garten der Qualen

Octave Mirbeau

Kapitel II.9

Und folgender Maaßen gieng der Tag zu Ende.

Der Himmel wurde roth, von breiten smaragdfarbenen, überraschend durchsichtigen Streifen durchzogen. Das ist die Stunde, da die Blumen ein geheimnisvolles Leuchten, einen heftigen und doch gedämpften Glanz annehmen ... Allerorts stammen sie, als ob sie am Abend der Atmosphäre all das Licht zurückgäben, das ihr Blüthenboden tagsüber durch die Sonne aufgenommen hat. Die mit zerstampften Ziegeln bedeckten Wege erschienen zwischen dem übertriebenen Grün der Wiesen hier wie Feuerstreifen, da wie glühende Lavaströme. Die Vögel in den Zweigen sind verstummt, die Insekten haben ihr Summen eingestellt, sterben oder schlafen ein. Nur die Nachtschmetterlinge und die Fledermäuse beginnen durch die Luft zu gleiten. Vom Himmel herab bis zu den Bäumen, von den Bäumen herab bis zum Erdboden, überall herrscht tiefes Stielschweigen. Und ich fühle, daß es auch mich durchdringt und mich erstarrt, gleich dem Tod.

Ein Kranichvolk steigt lang den Rasenabhang herab und stellt sich in einer Reihe, nicht weit von uns rund um das Becken auf. Ich höre das Klatschen ihrer Füße im hohen Gras und das trockene Klappern ihrer Schnäbel. Dann stellen sie sich auf ein Bein, unbeweglich den Kopf unter dem Gefieder verborgen, es ist als ob man ein Bronzeprunkstück vor sich hätte. Und der Karpfen mit dem goldigen Kopf, der unter den Wasserrosenblättern schlief, zappelt im Wasser, taucht unter, verschwindet, indem er auf der Oberfläche weite Wellen zurückläßt, die in weichem Wiegen die geschlossenen Kelche der Lotusblumen bewegen; die Wellen werden immer breiter und verlieren sich zwischen den Schwertlilien, deren teuflische Blumen nur seltsam vereinfacht erscheinen, in den Zauber des Abends Schicksalszeichen einschreiben, die dem Buche des Lebens entnommen zu sein scheinen ...

Eine riesige Arumpflanze breitet oberhalb des Wassers das Horn ihrer grünen, mit braunen Flecken betupften Blume aus und führt uns einen starken Leichengeruch zu. Lange Zeit schwärmen Fliegen hartnäckig und gierig um den Schindanger ihres Kelches herum ...

Clara lehnt auf dem Geländer der Brücke; mit umwölkter Stirn und starren Augen blickt sie auf's Wasser herab. Der Widerschein der untergehenden Sonne gleitet über ihren Nacken ... Auf ihrem Leib hat die Spannung nachgelassen, ihr Mund ist kleiner geworden. Sie scheint ernst und sehr traurig. Ihr Blick ist auf's Wasser gerichtet, aber er geht weiter und dringt tiefer, als daß er auf der Wasserfläche ruhte; er dringt vielleicht zu einer unzugänglicheren und schwärzeren Sache, als es der Grund dieses Wasserbeckens ist; er dringt vielleicht in ihre Seele hinab, in den Abgrund ihrer Seele, wo sich in einem Flammen- und Blutgewirre die scheußliche Blume ihrer Gelüste wiegt ... Was betrachtet sie in Wirklichkeit? ... Woran denkt sie? ... Ich weiß es nicht ... Vielleicht betrachtet sie gar nichts ... vielleicht denkt sie an nichts ... Ein wenig ermüdet, mit zerstörten Nerven von den Peitschenschlägen all zu vieler Sünden gequält, verstummt sie, weiter nichts ... Falls sie nicht durch eine letzte Anstrengung ihrer geistigen Willenskraft all die Erinnerungen und all die Bilder dieses Schreckenstages zusammenraffte, um einen Strauß von rothen Blumen ihrem Geschlechte darzubieten? ... Ich weiß es nicht ...

Ich wage es auch nicht sie anzusprechen. Sie flößt mir Furcht ein, sie verwirrt durch ihre Unbeweglichkeit und durch ihr Schweigen mich bis in die tiefsten Tiefen meines Ich's. Existirt sie denn wirklich? Ich frage es mich nicht ohne Entsetzen ... Ist sie nicht nur eine Ausgeburt meiner Ausschweifung und meines Fiebertraumes? ... Ist sie nicht nur eines jener unmöglichen Traumbilder wie sie ein schweres Alpdrücken gebiert? ... Eine jener verbrecherischen Versuchungen wie sie wüste Wollust in der Phantasie jener Kranken, die man Mörder und Narren nennt, entstehen läßt? ... Sollte sie vielleicht nichts anderes sein als meine Seele, die wider meinen Willen die leibliche Hülle verlassen hat und unter der Form der Sünde körperliche Gestalt annahm? ...

Aber nein ... Ich greife sie an. Meine Hand hat die bewunderungswürdigen Wirklichkeiten, die lebenden Wirklichkeiten ihres Leibes wiedererkannt ... Ihre Haut versengt meine Finger durch den leichten und seidigen Stoff, der sie bedeckt ... Und Clara schaudert bei dieser Berührung nicht zusammen; sie geräth nicht in Verzückung, wie so oft bei dieser Liebkosung. Ich begehre sie und ich hasse sie ... Ich möchte sie in meine Arme nehmen und umschlingen, bis sie erstickt, bis sie erwürgt ist und dann den Tod - ihren Tod - aus ihren geöffneten Adern trinken. Ich schreie mit einer Stimme, die abwechselnd drohend und unterwürfig klingt:

- Clara! ... Clara! ... Clara! ...

Clara antwortet nicht und rührt sich nicht ... Sie betrachtet noch immer die Wasserfläche, die ständig düsterer wird; doch ich glaube, daß sie in Wirklichkeit nichts betrachtet, weder das Wasser, weder den rothen Widerschein des Himmels auf dem Wasser, noch die Blumen, noch sich selbst ... Da rücke ich ein wenig zur Seite, um sie nicht mehr zu sehen, noch zu berühren und ich wende mich der entschwindenden Sonne zu, der Sonne, von der nur noch große, vorübergehen de Streiflichter am Himmel übrig geblieben sind, die nach und nach bald zerrinnen und in der Nacht erlöschen werden ...

Schatten steigen auf den Garten herab und ziehen ihre blauen Schleier leichter über die nackten Rasenflächen, dichter über die Blumen, die sich dadurch vereinfachen. Die weißen Blüthen der Kirsch- und Pfirsichbäume, die jetzt ein mondhelles Licht ausströmen, haben ein gleitendes Aussehen, ein irrendes Aussehen, ein seltsames, an Traumgebilde erinnerndes Aussehen ... Und die Galgen und die Schandsäulen richten ihre düsternen Arme, ihre schwarzen Balken am östlichen Himmel auf, der die Farbe blau angelaufenen Stahles trägt.

O Schreck! ... Oberhalb einer Baumgruppe, auf dem sterbenden Purpur des Abends, sehe ich, wie sich gleich ungeheuren Blumen, deren Stengel in der Nacht unsichtbar sind, die schwarzen Umrisse von fünf Gefolterten an den Pfählen hin- und herdrehen, sich langsam drehen, der Leere zu drehen, baumeln, schwenken, drehen und wieder drehen.

- Clara! ... Clara! ... Clara! ...

Aber meine Stimme dringt nicht bis zu ihr ... Clara antwortet nicht, rührt sich nicht und wendet sich nicht um ... Sie bleibt über das Wasser, über den Wasserschlund gebeugt. Und ebenso wie sie mich nicht mehr hört, hört sie nicht mehr die Klagen, die Schreie, das Röcheln all der Wesen, die in dem Garten sterben.

Ich fühle etwas wie dumpfe Niedergeschlagenheit in mir, wie ungeheure Ermüdung nach Märschen und wieder Märschen durch fiebererfüllte Wälder, am Ufer todbringender Seen ... Ich bin von einer Entmuthigung durchdrungen, die mich, wie mir scheint, nie wieder verlassen wird ... Gleichzeitig wird mir das Hirn schwer und peinigend hinderlich ... Es ist als ob ein eiserner Ring mir die Schläfen umgäbe, so daß mir fast der Schädel zerplatzt.

Da löst sich nach und nach mein Gedanke von dem Garten, von den Folterkreisen, von den Todeskämpfen unter den Glocken, von den Bäumen, in denen das Leid spukt, von den blutigen, verzehrenden Blumen los ... Er möchte endlich den Schreck dieses Schindangers verlassen, zum reinen Licht durchdringen und zu guter letzt an die Thore des Lebens klopfen ... Wehe! Die Thore des Lebens öffnen sich nur dem Tode, sie öffnen sich stets nur über den Palästen und den Gärten des Todes ... Und das Weltall erscheint mir wie ein ungeheurer, wie ein unerbitterlicher Garten der Qualen ... Überall fließt Blut und da wo es viel Leben gibt, zerreißen fürchterliche Quälgeister die Leiber, zersägen die Knochen und ziehen einem die Haut ab, während ihre Gesichter vor Freude verfinstert sind ...

Ach ja! Der Garten der Qualen! ... Die Leidenschaften, der Appetit, die Interessen, der Haß, die Lüge und die Gesetze und die sozialen Einrichtungen und die Gerechtigkeit, die Liebe, der Ruhm, das Heldenthum, die Religionen sind die scheußlichen Blumen und gräßlichen Werkzeuge des ewigen Menschenleidens in diesem Garten ... Was ich heute gesehen, was ich gehört habe, lebt und schreit und jammert auch jenseits dieses Gartens, der für mich nur noch ein Symbol ist, auf dem ganzen Erdball ... Vergebens suche ich einen Einhalt im Verbrechen, eine Ruhestätte im Tode, ich finde dies nirgends ...

Ich möchte, ja ich möchte mich beruhigen und mir Seele und Geist durch alte Erinnerungen, durch das Andenken bekannter und vertraulicher Gesichter reinigen ... Ich rufe Europa zu Hilfe und seine heuchlerische Civilisation und Paris, mein von Lachen und Vergnügen erfülltes Paris ... Aber Eugéne Mortain's Antlitz ist es, das ich auf den Schultern des dicken und geschwätzigen Henkers grinsen sehe, der am Fuße der Galgen, inmitten der Blumen, seine Zangen und Sägen reinigte ... Es sind die Augen, der Mund, die welken herabfallenden Wangen der Frau G ..., die sich über die Foltergerüste beugen, ich sehe ihre nothzüchtigenden Hände die Eisenkinnbacken, die mit Menschenfleisch vollgestopft sind, berühren, und liebkosen ... Auf all die Männer und all die Frauen, die ich geliebt hatte, oder die ich zu lieben glaubte, auf diesen gleichgiltigen Gesichtern und frivolen Seelchen, verbreitet sich jetzt der unauslöschbare Blutfleck ... Und dann die Richter, die Soldaten, die Priester, die allerorts in den Kirchen, den Kasernen, den Tempeln der Gerechtigkeit sich auf das Todeswerk stürzen ... Und es ist der Mensch als Einzelwesen und es ist der Mensch als Masse und es ist das Vieh, die Pflanze, die Elemente, kurz die ganze Natur, die von der weltumfassenden Kraft der Liebe getrieben sich dem Morde zustürzen, indem sie so außerhalb des Lebens eine Befriedigung und Besänftigung der wüthenden Lebensgelüste zu finden glauben, der Gelüste, die sie verzehren und die aus ihnen als ein Auswurf schmutzigen Schaumes hervorquellen!

Soeben noch fragte ich mich, wer Clara sei und ob sie in Wirklichkeit bestände ... Ob sie bestände? ... Aber Clara ist ja das Leben, sie ist die wirkliche Anwesenheit des Lebens, des ganzen Lebens! ...

- Clara! ... Clara! ... Clara! ...

Sie antwortet nicht, sie rührt sich nicht und wendet sich nicht um ... Dichter Wasserdunst, blau und silbern gefärbt, steigt von den Wiesen und dem Bassin auf, umhüllt die Blumengruppen, verschleiert die Gerüste der Galgen ... Und mir ist es als ob ein Blutgeruch, ein Leichengeruch zugleich mit diesem Dunst aufstiege, der Rauch unsichtbarer Weihwedel, die von unsichtbaren Händen geschwungen werden, dem unsterblichen Ruhme Clara's geweiht!

Am anderen Ende des Beckens, hinter mir, beginnt ein Gecko die Stunden zu rufen ... Ein anderer Gecko antwortet ihm ... dann wieder ein anderer ... dann noch ein anderer ... in regelmäßigen Zwischenräumen ... Dies kommt mir wie Glocken vor, die durch ihr Geläut sich rufen und Zwiegespräche führen, Festesglocken von außerordentlich reinem Klang, von einem kristallenen und sanften, ach, so sanften Ton, der dem Schweigen Sicherheitsgefühl und der Nacht den Zauber eines reinen Traumes verleiht ... Diese hellen, so unaussprechlich hellen Töne rufen in mir tausend und aber tausend nächtliche Landschaften wach, in denen meine Lungen aufathmen, in denen mein Gedanke sich wieder findet ... Binnen wenigen Minuten habe ich vergessen, daß ich mich neben Clara befinde und daß alles rings um mich her, der Boden und die Blumen, das Blut vollends einsaugen und sehe mich durch den silbernen Abend inmitten der feenhaften Reisfelder von Annam herumstreifen ...

- Kehren wir heim! sagte Clara.

Diese Stimme, kurz, herausfordernd und müde, ruft mich wieder zur Wirklichkeit zurück ... Clara steht vor mir ... Ihre gekreuzten Beine lassen sich unter den eng anliegenden Falten ihres Kleides errathen ... Sie stützt sich auf den Griff ihres Sonnenschirmes. Und im Halbdunkel glänzen ihre Lippen wie das lichtgedämpfte Leuchten eines rosigen Lampenschirmes in einem großen, geschlossenen Raum ...

Da ich mich nicht bewege, sagt sie nochmals:

- Nun also! ... Ich warte nur auf Sie! ...

Ich will ihren Arm nehmen ... Sie verweigert es.

- Nein ... nein ... gehen wir neben einander! ...

Ich dringe noch weiter in sie.

- Sie werden ermüdet sein, meine liebe Clara ... Sie ...

- Nein ... nein ... nicht im geringsten!

- Der Weg von hier bis zum Fluß ist weit ... Nehmen Sie meinen Arm, ich bitte Sie darum!

- Nein ... danke! ... Und schweigen Sie ... o, schweigen Sie doch! ...

- Clara! Sie sind ja ganz verändert ...

- Wenn Sie mir einen Gefallen thun wollen ... so schweigen Sie! ... Ich will nicht, daß zu dieser Stunde mit mir gesprochen wird! ...

Ihre Stimme ist trocken, schneidend, befehlshaberisch ...Wir brechen auf ... Wir überschreiten die Brücke, sie geht voraus, ich hinterher, wir schlagen einen der kleinen Wege ein, der in Schlangenform durch die Rasenflächen führt. Clara geht mit kurzen unregelmäßigen Schritten vorwärts ... Doch so wundervoll ist die unverletzbare Schönheit ihres Leibes, daß selbst diese Überanstrengung der harmonischen, leichten und vollen Linie nichts von ihrem Zauber raubt ... Ihre Hüften bewahren die göttliche, wollüstige Wellung ... Selbst wenn ihr Geist fern von Liebe ist, wenn er sich gegen die Liebe starr macht, verkrampft und weigert, ist doch stets die Liebe da, all die Gestalten, jeder Rausch, jede Gluth der Liebe und modellirt sozusagen diesen auserlesenen Leib ... An ihr gibt es keine Haltung, keine Geberde, kein Schaudern, kein Rauschen des Kleides, kein Auflösen ihres Haares, das nicht nach Liebe schreit, das nicht Liebe schwitzt, das nicht Liebe und wieder Liebe um sich her, auf all die Wesen und all die Dinge fallen läßt. Der Sand des Weges kreischt unter ihren Füßchen und ich lausche dem Knirschen des Sandes, das mir wie ein Schrei des Verlangens, wie ein liebesrasender Kuß vorkommt, wobei ich in deutlichem Rhythmus den Namen unterscheide, der mich überall verfolgt, der beim Krachen der Galgen, aus dem Röcheln der im Todeskampfe Liegenden erscholl und jetzt mit seinem entzückenden und trauervollen Spuk die ganze Dämmerung erfüllt:

- Clara! ... Clara! ... Clara! ...

Der Gecko ist verstummt, um dies besser zu hören ... Alles ist verstummt ...

Die Dämmerung ist anbetungswürdig, von unendlicher Sanftheit, von einer liebkosenden Frische, die einen berauscht ... Wir schreiten inmitten von Düften einher ... Wir streifen wundervolle Blumen, die noch wundervoller erscheinen, da sie kaum noch sichtbar sind und sich neigen und uns, gleich geheimnisvolle Feen, beim Vorübergehen grüßen. Nichts bleibt von dem Grausen des Gartens übrig, nur die Schönheit verharrt, seufzt und begeistert sich zugleich mit der Nacht, die immer köstlicher auf uns herabsinkt.

Ich habe mich wieder gesammelt ... Das Fieber scheint mir nachgelassen zu haben ... Meine Glieder werden leichter, beweglicher, stärker ... Je weiter wir vorwärts gehen, desto mehr läßt die Ermüdung nach und ich fühle in mir etwas wie einen heftigen Drang nach Liebe aufsteigen ... Ich habe mich Clara genähert, ich gehe dicht neben ihr ... ganz dicht neben ihr ... von ihr versengt ... Aber Clara hat nicht ihr Sündengesicht, wie vorhin, als sie in die Wiesenkrautblumen biß und sich mit den scharfen Pollen leidenschaftlich die Lippen bestäubte ... Der vereiste Ausdruck ihres Gesichtes straft all die ausschweifende Glut ihres Leibes Lügen ... Wenigstens so weit ich es entscheiden kann, kommt es mir genau so vor, als ob die wilde Wollust, die in ihr lag, die mit so seltsamem Glanz in ihren Augen stöhnte und auf ihrem Munde in Verzückung gerieth, verschwand, vollständig aus ihren Augen und aus ihren Munde verschwunden ist, zu gleicher Zeit wie die blutigen Bilder der Qualen des Gartens.

Ich fragte sie mit zitternder Stimme:

- Sie sind böse auf mich, Clara? ... Sie verabscheuen mich? ...

Sie antwortet mir in gereiztem Tone:

- Aber nicht doch! nicht doch! Das hat doch keinen Zusammenhang, mein Freund ... Ich bitte Sie, seien Sie still ... Sie wissen ja nicht wie Sie mich ermüden! ...

Ich dringe weiter in sie:

- Doch! doch! ... Ich sehe wohl, daß Sie mich verabscheuen ... Und das ist furchtbar! ... Ich möchte am liebsten in Thränen ausbrechen! ...

- Gott! wie Sie mich reizen! ... Schweigen Sie ... und weinen Sie, wenn es Ihnen Spaß macht ... Aber schweigen Sie! ...

Und als wir an der Stelle vorüberkamen, wo wir vorhin Halt machten, um mit dem alten Henker zu plaudern, sagte ich, in dem Glauben, durch meine thörichte Beharrlichkeit ein Lächeln auf Clara's erstorbene Lippen zurückzuführen:

- Erinnern Sie sich an den dicken Patapuf, mein Liebling? .... Wie komisch war er doch mit seinem blutbefleckten Kleide ... und seinem Werkzeugkasten und seinen rothen Fingern, theures Herzchen ... und mit seinen Theorien über das Geschlecht der Blumen? ... Erinnern Sie sich? ... Zuweilen vereinigten sich zwanzig Männchen zum Wonneschauer eines einzigen Weibchen's ...

Diesmal antwortet mir nur ein Achselzucken ... Sie hält es nicht einmal mehr für werth sich über meine Worte zu ärgern ...

Da beugte ich mich, von einem groben Drange getrieben, ungeschickt über Clara, versuchte sie zu umschlingen und ergriff mit brutaler Hand ihre Brüste:

- Ich will Dich besitzen ... hier ... hörst Du ... in diesem Garten ... in dieser Stille ... am Fuße dieser Galgen ...

Meine Stimme ist athemlos, gemeiner Schaum tritt mir vor den Mund und gleichzeitig mit diesem Schaum, abscheuliche Worte ... die Worte, die sie liebt! ...

Mit einer Bewegung der Hüften befreit sich Clara aus meiner linkischen und plumpen Umarmung; und mit einer Stimme, in der Zorn, Spott und auch Ermüdung und Nervosität enthalten sind, sagt sie:

- Gott! wenn Sie wüßten wie tödtlich langweilig Sie sind ... und wie lächerlich dabei, mein armer Freund! ... Sie sind ein ekelhafter Bock! ... Lassen Sie mich ... In kurzer Zeit können Sie, wenn es Ihnen Spaß macht, Ihre ekligen Gelüste an Dirnen auslassen ... Sie sind wahrhaftig zu lächerlich! ...

Lächerlich! ... Ja, ich fühle, daß ich lächerlich bin ... Und ich entschließe mich fernerhin Ruhe zu halten ... Ich will in ihr Schweigen nicht hineinfallen, wie ein plumper Stein in einen See, auf dem Schwäne im Mondenlichte schlummern! ...

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