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Der Garten der Qualen

Octave Mirbeau

Kapitel I.3

Einige Tage nach dem heftigen Auftritt, der meiner jämmerlichen Niederlage gefolgt war, traf ich Eugène im Hause einer Freundin, der guten Frau G ..., wo wir alle beide zum Diner eingeladen waren. Unser Händedruck, den wir tauschten, fiel sehr herzlich aus. Man hätte glauben können, daß nichts Ärgerliches zwischen uns vorgefallen wäre.

- Man sieht Dich ja garnicht mehr! ... warf er mir in jenem Tone gleichgiltiger Freundschaft vor, der bei ihm mit eine höfliche Form von Haß vorstellte ... Warst Du denn krank?

- Nicht im geringsten ... ich war nur auf der Reise nach Vergessenheit.

- Notabene ... bist Du vernünftiger geworden? Ich möchte gerne fünf Minuten mit Dir plaudern ... Nach dem Diner, nicht wahr?

- Hast Du mir denn etwas Neues mitzutheilen? fragte ich mit galligem Lächeln, wodurch ich ihm zeigen wollte, daß ich mich nicht wie ein unbedeutender Gegenstand "abfertigen", lassen würde.

O, ich? meinte er ... nein; nichts ... ein noch gar nicht feststehender Plan ... Kurz, wir müssen davon sprechen ...

Ich hatte eine Unverschämtheit fertig auf der Zunge, als Frau G ..., ein enormes Packet von wiegenden Blumen, tanzenden Federn und lebenden Spitzen diesen Beginn einer Unterhaltung unterbrach. Sie seufzte: "Ach, mein lieber Minister, wann werden Sie sich von diesen scheußlichen Sozialisten befreien?" Dann zog sie Eugène mit sich fort, zu einer Gruppe junger Frauen, die nach der Art, wie sie in einer Ecke des Salons rangiert waren, mir den Eindruck machten, als ob sie gemiethet wären, wie im Tingltangl jene nächtlichen Geschöpfe, die mit ihrer überschwänglichen Dekolletirung und ihren geliehenen Roben den trügerischen Ausstattungsapparat verschönern.

Frau G ... stand in dem Rufe, eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft und dem Staate zu spielen. Inmitten der unzähligen Comödien des Pariser Lebens erschien der Einfluß, den man ihr zuschrieb, nicht als einer der wenigst komischen. Die kleinen Geschichtsschreiber winziger Ereigniße unserer Zeit erzählten ernsthaft, indem sie glänzende Vergleiche mit der Vergangenheit anstellten, daß ihr Salon der Ausgangs- und Weihepunkt politischer Carrièren und litterarischen Ruhmes sei, folglich das Stelldichein jedes jungen Ehrgeizes und auch jedes alten. Wenn man ihnen Glauben schenkte, wurde dort die zeitgenössische Geschichte zusammengebraut, der Fall oder die Bildung von Kabineten beschlossen und zwischen genialen Intriguen und köstlichen Plaudereien - denn es war ein Salon wo man plaudern konnte - ebensowohl Bündnisse mit dem Auslande, wie Wahlen in die Academie Française verhandelt. Herr Sadi Carnot in eigener Person - der damals über die französischen Herzen herrschte, - war, wie man sich erzählte, zu geschickten Aufmerksamkeiten gegen diese so gefährliche Macht gezwungen und um sich dort in gutem Angedenken zu halten, schickte er ihr galant an Stelle seines Lächelns die schönsten Blumen aus den Gärten des Elysées und den Treibhäusern der Stadt ... Da Frau G ... in der Zeit ihrer oder deren Jugend, - über diesen chronologischen Punkt war sie sich nicht im Klaren - die Herren Thiers und Guizot, Cavour und den alten Metternich gekannt hatte, bewahrte diese alterthümliche Person einen Glorienschein, mit dem sich die Republik gerne schmückte wie mit seiner überlieferten Eleganz, und ihr Salon nahm an diesem glänzenden Nachruhm dieser berühmten Namen theil, die bei jeder Gelegenheit genannt wurden und sich dem Gedächtnisse der minderwertigen Wirklichkeiten der Gegenwart aufdrängten.

Man kam übrigens in diesen gewählten Salon wie auf einen Jahrmarkt, und nie habe ich - der ich doch viel gesehen habe - ein seltsameres soziales Gemisch und eine lächerlichere mondaine Maskerade erblickt. Entgleiste der Politik, des Journalismus, der Clubs, der Gesellschaft, der Theater, Kosmopoliten, sowie entsprechende Frauen wurden dort empfangen und zählten mit. Kein Mensch ließ sich durch diese Mystification reinlegen, aber jeder fand sich interessiert bei dem Gedanken, sich selbst aufzuregen, ein notorisch schandbares Milieu in Aufregung zu bringen, aus dem viele unter uns nicht nur schwer einzugestehende Einkünfte, sondern auch ihre alleinige Daseinsberechtigung zogen. Übrigens bin ich der Ansicht, daß die Mehrzahl der berühmten Salons aus früherer Zeit, wo in verschiedenen Formen der herumirrende Drang und die Gier nach Politik, sowie ungestillte Eitelkeit der Litteratur ihr Wesen trieben, dem vorliegendem ziemlich treu glichen ... Es ist mir übrigens auch nicht bewiesen worden, daß sich dieser Salon wesentlich von den anderen unterscheidet, deren entzückende moralische Haltung und der schwierige Zutritt in lyrischem Enthusiasmus bei jeder Gelegenheit gepriesen werden.

Die Wahrheit ist, daß Frau G ... wenn man sie von der poetischen Ausschmückung der Reklame und Märchen befreite, zu dem genauen Charakter ihrer gesellschaftlichen Individualität zurückführte, nichts als eine sehr alte Dame von alltäglichem Geiste und vernachlässigter Erziehung war; außerdem noch ungeheuer lasterhaft, pflegte sie die Blumen des Lasters, da sie sie nicht mehr in ihrem eigenen Garten ziehen konnte, in dem der anderen, mit ruhiger Schamlosigkeit, so daß man nicht wußte was man daran mehr bewundern sollte, die Frechheit oder die Ahnungslosigkeit. Sie ersetzte die gewerbsmäßige Liebe, auf die sie hatte verzichten müssen, durch die Manie außereheliche Verhältnisse und Scheidungen zustande zu bringen; es war ihre ganze Freude und Sünde, deren Verlauf zu folgen, ihn zu leiten, zu beschützen und zu bedecken und so ihr altes verschrobenes Herz durch die Berührung mit der verbotenen Glut neu zu erwärmen. Man war immer sicher im Hause dieser großen politischen Frau neben dem Segen der Herren Thiers, Guizot, Cavour und des alten Metternich, schwesterliche Seelen, vollständig vorbereitete Ehebrüche, fertig bespannte Gelüste zu finden, Liebeleien aller Art, frisch ausgestattet für eine Fahrt, für die Stunde, oder für den Monat: eine werthvolle Quelle im Falle sentimentalen Katers oder leerer Abende.

Weshalb war mir gerade an jenem Abend der Gedanke gekommen zu Frau G ... zu gehen ...? Ich weiß es nicht, denn ich war sehr melancholisch und keineswegs in der Stimmung mich zu zerstreuen. Mein Zorn gegen Eugène war wohl beruhigt, wenigstens für den Augenblick. Eine ungeheure Ermüdung, ein ungeheurer Ekel war an seine Stelle getreten, ein Ekel vor mir selbst, vor den Anderen, vor aller Welt. Seit dem Morgen hatte ich ernstlich über meine Lage nachgedacht und ich sah trotz der Versprechungen des Ministers, dem ich übrigens die Abrechnung nicht so leicht zu machen gedachte, keinen passenden Ausweg. Ich sah ein, daß es meinem Freunde sehr schwer fallen würde, mir eine dauernde offizielle Stellung zu verschaffen, etwas, was einem ehrenwerthen Schmarotzer passen kann, etwas wo man von Regierungswegen gut bezahlt wird, wodurch ich als allgemein geachteter Greis und Beamter in einer Sinécure friedlich meine Tage hätte enden können. Übrigens hätte ich mir wahrscheinlich eine solche Stellung rasch verdorben; dann wäre auch von allen Seiten im Namen der öffentlichen Moral und des republikanischen Anstandes Widerspruch durch eventuelle Concurrenten erhoben worden, auf die der Minister im Falle einer Interpellation keine Antwort gefunden hätte. Alles was er mir bieten konnte, war, durch vorübergehende Hilfsmittel, durch armselige Taschenspieler-Kunststücke mit dem Budget, die unausbleibliche Stunde meines Sturzes hinauszuschieben. Und dann konnte ich selbst nicht ewig auf diese winzige Gunst und Protektion rechnen, da Eugène gleichfalls nicht auf die ewige Dummheit des Publikums rechnen durfte. Zahlreiche Gefahren bedrohten damals das Kabinet, es gab mehrfach Skandale, hie und da machten Zeitungen, die mit ihrer Bezahlung aus dem Geheimfond unzufrieden waren, immer directere Anspielungen und vergifteten die persönliche Sicherheit meines Gönners ... Eugène erhielt sich nur durch verschiedene Angriffe auf unpopuläre oder besiegte Parteien auf seiner Machthöhe und dadurch, daß er Geld vertheilte, das, wie ich schon damals argwöhnte und wie später deutlich bewiesen wurde, aus dem Auslande kam und jedesmal gegen ein Pfund vom Fleische des Vaterlandes eingetauscht wurde! ...

Ich hatte wohl daran gedacht, an dem Sturze meines Kameraden zu arbeiten und mich geschickt bei seinem möglichen Nachfolger im Ministerium einzuschmeicheln und neben diesem neuen Mitarbeiter eine Art von sozialer Jungfräulichkeit wieder zu erringen ... Alles trieb mich dazu, meine Natur, mein Interesse und auch das furchtbar köstliche Vergnügen der Rache ... Aber je mehr Ungewißheit und Zufälligkeit diese Verwicklung begleitete, desto weniger Muth fühlte ich zu einem Versuch mich in solche Händel einzulassen. Ich hatte ja durch ähnliche Sachen meine Jugend zerstört. Ich war dieser gefährlichen, tollen Abenteuer müde, die mich zu nichts gebracht hatten .... Ich fühlte eine geistige Ermattung, eine förmliche Lähmung in den Gelenken meiner Thatkraft; alle meine Fähigkeiten schwächten sich, da sie durch Neurasthenie erschöpft waren. Ach! ich bedauerte aufrichtig, nicht den geraden Weg des Lebens eingeschlagen zu haben! In jener Stunde sehnte ich mich wahrhaft nur nach dem mittelmäßigen Frieden bürgerlicher Regelmäßigkeit; ich wollte, ich konnte diese Sprünge des Glücks und das abwechselnde Elend nicht mehr ertragen, die mir keinen Augenblick des Ausruhens ließen und mein Dasein mit ständiger, quälender Angst erfüllten. Was sollte denn aus mir werden? ... Die Zukunft erschien mir trauriger und verzweifelter als die Winterstimmung, die auf Krankenzimmer herabsinkt .... Und welch neue Schändlichkeit würde mir der schändliche Minister im nächsten Augenblick, nach dem Diner vorschlagen? ... In welche tiefe Schlammpfütze wollte er mich stoßen, aus der ich mich nicht mehr befreien könnte und nie wieder an die Oberfläche durchringen? ...

Meine Augen suchen ihn in dem Gewühl, er tändelt gleich einem Schmetterling um die Frauen herum. Nichts zeigt auf seinem Schädel oder auf seinen Schultern, welch schwere Last von Verbrechen er zu tragen habe. Er schien sorgenlos und lustig. Und als ich ihn so sah, vergrößerte sich meine Wuth gegen ihn noch durch die Gefühle der doppelten Ohnmacht, in der wir beide uns befanden, er mich aus Schande zu retten, ich ihn in Schande zu stürzen ... ach ja! ihn in Schande zu stürzen!

Durch diese vielfachen peinlichen Gedanken bestürmt, konnte es nicht Wunder nehmen, daß ich mein sonstiges Geschick verloren hatte und die schönen Geschöpfe, die von Frau G .... ausgewählt und ausgestellt waren, um ihre Gäste zu erfreuen, mir keinen Eindruck machten.. Während des Diners benahm ich mich recht unliebenswürdig und richtete kein Wort an meine weiblichen Nachbarn, deren schöne Brüste unter Edelsteinen und Blumen glänzten.

Man glaubte, daß mein Mißerfolg die Ursache dieser düsteren Stummung sei, da ich mich gewöhnlich fröhlich und galant zeigte.

- Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen ... sagte man mir. Donnerwetter! ... Sie sind noch jung! ... Für die politische Carrière braucht man einen guten Magen ... Das nächste Mal wird es besser gehen.

Auf diese banalen Trostworte, auf das einladende Lächeln, die angebotenen Brüste antwortete ich hartnäckig:

- Nein ... nein ... Sprechen Sie mir nicht von Politik ... Das ist schandbar! ... Sprechen Sie auch nicht vom allgemeinen Wahlrecht ... Das ist blödsinnig! Ich will nicht ... ich will nichts mehr davon hören.

Und Frau G ... deren Blumen, Federn und Spitzen sich plötzlich neben mir erhoben, in vielfarbenen duftigen Wogen, hauchte mir mit gezierter Verzückung und den feuchten Koketterien einer alten Kupplerin ins Ohr:

- Es gibt doch nur noch die Liebe, sehen Sie ... Die Liebe ist das einzige! ... Versuchen Sie es mit der Liebe! ... Sehen Sie, heute Abend ist gerade eine junge Rumänin hier ... ein leidenschaftliches ... ach! ... und poetisches Geschöpf, mein Lieber ... dabei auch Gräfin! ... Ich bin überzeugt, daß sie ganz toll auf Sie ist ... Erstens sind alle Frauen ganz toll auf Sie ... Ich werde Sie ihr vorstellen ...

Ich lehnte diese roh herbeigeführte Gelegenheit ab ... und in grämlichem, nervösem Stillschweigen erwartete ich den Schluß dieses endlosen Abends ...

Eugène, auf den von allen Seiten Beschlag gelegt wurde, konnte sich mir erst sehr spät widmen. Wir benützten den Augenblick, da eine berühmte Sängerin die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, um uns in eine Art von kleinem Rauchzimmer zu flüchten, das durch den diskreten Schein einer Lampe auf langem Ständer, der mit rosigem Crepp umhüllt war, erleuchtete. Der Minister setzte sich auf's Sopha, zündete sich eine Zigarette an und sagte in würdigem Tone zu mir, während ich nachlässig ihm gegenüber rücklings auf einem Stuhle Platz nahm und die Arme auf der Lehne kreuzte:

- Ich habe während der letzten Tage viel an Dich gedacht.

Zweifellos erwartete er eine Dankesäußerung, eine freundschaftliche Regung, eine Geberde, die Interesse oder auch nur Neugier verrieth: Ich blieb jedoch gleichgültig und gab mir Mühe den Ausdruck hochmüthiger Uninteressirtheit, der fast beleidigend war, zu bewahren; ich hatte mir nämlich ausdrücklich vorgenommen, in dieser Weise die heuchlerischen Vorschläge meines Freundes entgegen zu nehmen; mit förmlicher Wuth suchte ich mir einzureden, daß diese Vorschläge eben jedenfalls trügerisch wären. Frech that ich so, als ob ich das Portrait des Herrn Thiers anschaute, das hinter Eugène die Höhe des Paneels einnahm, wobei alle dünkleren Stellen unsichtbar blieben, da sie gegen die allzustark lackirte Oberfläche nicht ankämpfen konnten, mit einziger Ausnahme des weißen Schopfes, dessen birnförmige Gestalt der einzig vollkommene Ausdruck der verschwundenen Gesichtszüge war. ... Durch den dichten Vorhang gedämpft drang der Lärm des Festes nur wie ein fernes Summen an unser Ohr ... Der Minister begann, kopfschüttelnd, von Neuem:

- Ja ich habe viel an Dich gedacht ... Nun also! ... es ist schwierig ... sehr schwierig.

Von Neuem verstummte er und schien über tiefsinnige Dinge nachzudenken ...

Ich fand ein wahres Vergnügen daran, dieses Schweigen zu verlängern und mich über die Verlegenheit zu amüsiren, in die mein Freund durch diese stumme, spöttische Haltung zweifellos gebracht wurde ... Ich sollte also diesen theuren Gönner wieder einmal lächerlich und ohne Maske, vielleicht sogar flehend vor mir sehen! ... Er schien indeß ruhig und regte sich augenscheinlich in keiner Weise über die allzu sichtliche Feindlichkeit meiner Haltung auf.

- Du glaubst mir nicht? bemerkte er mit ruhiger, sicherer Stimme ... Ja, ich bin überzeugt, Du glaubst mir nicht ... Du bildest Dir ein, ich dächte daran Dich zu übertölpeln ... ganz wie die Anderen, nicht wahr? ... Na also, da irrst Du Dich gewaltig, mein Lieber ... Wenn Dich übrigens diese Unterhaltung langweilt ... so ist es ja ungeheuer leicht abzubrechen ...

Dabei machte er Miene sich zu erheben.

- Das habe ich ja nicht gesagt! ... widersprach ich, indem mein Blick von der Haartolle des Herrn Thiers auf das kalte Gesicht Eugènes zurück glitt ... Ich habe gar nichts gesagt ...

- So höre mich aber an.. Paßt es Dir, wenn wir ein für allemal mit allem Freimuth von unserer gegenseitigen Lage sprechen? ...

Angesichts seiner Sicherheit verlor ich ein wenig von der meinen ... Im entgegengesetzten Verhältnis zu dem Benehmen, das ich eitel an den Tag gelegt hatte, gewann Eugène seine ganze Autorität über mich zurück ... Ich fühlte, daß er mir wieder einmal entschlüpft war ... Ich fühlte dies an seinen leichten, selbstbewußten Bewegungen, an der fast elegant zu nennenden Geschmeidigkeit seines Auftretens, an jener festen Stimme, kurz an jener Herrschaft über sich selbst, die er thatsächlich nur dann zeigte, wenn er über seine ärgsten Streiche brütete. Dann hatte er eine Art überwältigender Verführungskunst, eine Anziehungskraft, der man schwierig widerstand, selbst wenn man gewarnt war ... Ich kannte ihn doch durch und durch und habe oft genug, zu meinem Unglück, die Wirkungen dieses bösen Zaubers, der mir wahrhaftig keine Überraschung mehr bereiten konnte, erduldet ... Nun schön! Mein ganzer Kampfessinn ließ mich im Stich, mein Haß zerrann und wider Willen ließ ich mich verleiten, nochmals Vertrauen zu schöpfen und so vollkommen die Vergangenheit zu vergessen, daß ich diesen Mann, den ich bis in die verborgensten Winkel seiner schändlichen, stinkenden Seele kannte, willig wieder einmal als hochherzigen Freund, als gütigen Helden und Retter betrachtete.

Und nun - ach! ich möchte den Ausdruck von Kraft, von Verbrechen, von Ahnungslosigkeit und Grazie, den er in seine Worte legte, wiedergeben können - als er zu mir äußerte:

- Du hast das politische Leben nahe genug kennen gelernt um zu wissen, daß es eine Machtstufe gibt, wo sich auch der schändlichste Mensch, gegen sich selbst, durch seine eigenen Schändlichkeiten beschützt findet, um wie viel mehr gegen die Anderen durch die Machenschaften der Anderen ... Für einen Staatsmann gibt es nur eine nicht wieder gut zu machende Eigenschaft: Ehrbarkeit! ... Die Ehrbarkeit ist thöricht und unfruchtbar, sie versteht nicht Gelüste und Ehrgeiz, die einzigen Willensänderungen, durch die etwas Dauerndes geschaffen wird, zur Geltung zu bringen. Als Beweis nenne ich Dir diesen Dummkopf von einem Favrot, der einzige ehrenwerthe Mann im Kabinet, dessen politische Laufbahn nach der allgemeinen Meinung vollständig und für alle Zeiten verpfuscht ist! ... Damit möchte ich nur sagen, mein Lieber, daß der Feldzug, der gegen mich geführt wird, mich vollständig gleichgültig läßt ...

Auf eine unterdrückte Bewegung, die ich rasch machte, erwiderte er:

- Ja ... ja ... ich weiß ... man spricht von meiner Hinrichtung ... von meinem nahe bevorstehenden Sturz, ... von den Gensdarmen ... von Mazas [Früheres Strafgefängnis von Paris]!... "Tod den Dieben!" .... Sehr richtig! ... Wovon spricht man denn auch nicht? ... Und was folgt dann daraus? ... Ich lache ganz einfach darüber! ... Und selbst Du glaubst unter dem Vorwande, daß Du Dir einbildest an einigen meiner Privatgeschichten verwickelt zu sein - wobei Du doch, im Vorübergehen gesagt, nur eine Seite der Medaille kennst - unter dem Vorwande, daß Du einige unbedeutende Schriftstücke besitzest - wenigstens schreist Du es ja über alle Dächer - im übrigen, mein Lieber, kümmere ich mich den Teufel was darum! ...

Ohne sich zu unterbrechen, deutete er auf seine erloschene Zigarette, die er sodann in einem Aschenbecher zerquetschte, der auf dem kleinen Lacktischchen, neben ihm stand ...

- So wenig kümmere ich mich darum ... Ja selbst Du ... auch Du, glaubst mich durch Angstmachen beherrschen zu können ... und Erpressungen auf mich auszuüben wie auf einen schurkischen Bankier! ... Du bist ein Kind! ... Überlege doch nur ein Bischen ... Mein Sturz? ... Sage mir doch, bitte, wer in diesem Augenblicke die Verantwortlichkeit einer solch wahnsinnigen That auf sich zu nehmen wagte? ... Jeder weiß, daß mein Sturz zu viele Dinge mit sich fortreißen würde, zu viele Leute, an die man sich ebensowenig wie an mich heran machen darf, falls man nicht von der öffentlichen Meinung vernichtet, gewissermaßen zum Tode verurtheilt werden will .... Denn nicht ich allein würde zu Falle gebracht werden ... nicht ich allein würde eine Sträflingsjacke angezogen bekommen ... Nein, es wäre die ganze Regierung, das ganze Parlament, die ganze Republik, die, was sie auch thun und lassen, an meinen sogenannten Bestechlichkeiten, Durchsteckereien und Verbrechen betheiligt sind ... Sie glauben mich in der Hand zu haben ... dabei habe ich sie in der Hand! ... Sei unbesorgt, ich halte sie fest ...

Er machte eine Geberde, als ob er eine imaginäre Kehle zuschnürte ...

Der Ausdruck seines Mundes, dessen Winkel herabsanken, wurde scheußlich und auf seinen Augen erschienen purpurne Äderchen, die seinem Blick den unanfechtbaren Ausdruck des Mordes gaben ... Aber er nahm sich rasch wieder zusammen, zündete sich eine andere Zigarette an und fuhr fort:

- Das Kabinet kann man ja stürzen, einverstanden! ... ich würde sogar dabei behilflich sein ... Wir sind auch durch das Wirken dieses ehrenwerthen Favrot in eine Reihe von unmöglichen Fragen verwickelt, deren logische Lösung genau nur die ist, daß es eben keine Lösung gibt ... Eine Kabinetskrise wird nöthig, man erwartet ein nagelneues Programm ... Beherzige übrigens, bitte, daß ich diesen Schwierigkeiten fremd bin oder es wenigstens scheine .... Meine Verantwortlichkeit ist nur parlamentarisch vorgegeben ... In den Wandelgängen der Deputirtenkammer, in einem gewissen Theil der Presse löst man mich geschickt von meinen Collegen los, folglich bleibt meine persönliche Lage klar, selbstverständlich in politischer Hinsicht ... Ja noch besser ... von den Parteigruppen getragen, deren Führer ich für meinen Glückstern zu interessieren verstand, durch die Haute-finance und die großen Handelsgesellschaften gestützt, werde ich der nothwendige Mann der neuen Combination ... ich bin der Ministerpräsident, der morgen ernannt werden wird ... Und gerade in dem Augenblick, da man von allen Seiten meinen Sturz verkündet, erklimme ich den Gipfel meiner Laufbahn! ... Du mußt zugeben, mein Lieber, daß dies komisch genug ist und die Leute mein Fell noch lange nicht haben ...

Eugène war förmlich übermüthig geworden ... Der Gedanke, daß es für ihn keine Zwischenstellung zwischen den beiden Polen: Ministerpräsident zu sein oder Mazas, gab, regte seine Laune an ... Er näherte sich mir, klopfte mich vertraulich auf die Kniee, wie er es in Augenblicken der Gutmüthigkeit und Lustigkeit that, und wiederholte:

- Nein ... gestehe, daß dies zu komisch ist!

- Außerordentlich komisch! ... stimmte ich bei ... Aber was wird bei alledem mit mir?

- Mit Dir? Na also, da sind wir ja bei der Sache! ... Du mußt Dich aus dem Staub machen, mein Kleiner, und ein Jahr ... zwei Jahre verschwinden ... Das ist ja nichts so Unmögliches, Du hast es auch dringend nöthig Dich vergessen zu lassen.

Da ich mich zum Widerspruche bereit machte, schrie Eugène:

- Aber zum Donnerwetter! ... Ist es denn meine Schuld, wenn Du thörichter Weise all die wundervollen Stellungen, die ich Dir in die Hand gab, verpfuscht hast? ... Ein Jahr ... zwei Jahre ... das geht doch rasch vorüber ... Dann kehrst Du mit einer neuen Jungfräulichkeit wieder, dann werde ich Dir alles geben was Du verlangst ... Doch von jetzt bis dahin kann ich gar nichts thun ... Mein Ehrenwort! ... ich kann wirklich nichts.

Ein Rest von Wuth knurrte in mir ... aber mit nachgiebiger Stimme widersprach ich nur:

- Ach was! ... Unsinn! ... Was soll das? ...

Eugène lächelte, da er begriff, daß mein Widerstand durch diese letzten Worte erschöpft war.

- Na also, höre mich an ... sagte er gutmüthig zu mir ... mach' kein so böses Gesicht ... Ich will Dir etwas sagen ... Ich habe viel darüber nachgedacht ... Du mußt wirklich Deiner Wege gehen ... In Deinem Interesse, für Deine Zukunft habe ich nichts anderes ausfindig machen können ... Überlege nur! ... Na also, was ich Dich fragen wollte ... Bist Du ... wie soll ich sagen? ... bist Du Embryolog?

Er las meine Antwort in dem verblüfften Blick, den ich ihm zuwarf.

- Nein! ... Du bist kein Embryolog ... Das ist unangenehm! ... sehr unangenehm! ...

- Weshalb frägst Du mich das? Was soll dieser schlechte Witz?

- Ich meine nur, ich könnte in diesem Augenblick einen bedeutenden Betrag, - natürlich relativ! - aber schließlich einen ganz netten Betrag für eine wissenschaftliche Forschungsreise bewilligt erhalten, mit deren Leitung man Dich sehr gerne betrauen würde ...

Und ohne mir Zeit zu einer Antwort zu lassen, setzte er mir in kurzen, komischen Sätzen, mit neckigen Geberden, den Fall auseinander.

- Es handelt sich darum, nach Indien zu gehen, nach Ceylon glaube ich, um dort im Meere herum zu kramen ... in den Golfen ... und dabei das, was die Gelehrten den Urschleim nennen, zu studieren, verstehst Du? ... und zwischen den Gasteropoden, den Korallen, den Heteropoden, den Madreporen, den Siphonophoren, den Holoturien und den Radiolären ... was weiß ich ... die Urzelle aufzufinden ... höre mir gut zu, ... den protoplasmatischen Beginn des organischen Lebens ... kurz irgend so eine Geschichte in dieser Art ... Das ist reizend - und wie Du siehst - äußerst einfach ...

- Äußerst einfach! in der That, murmelte ich mechanisch.

- Ja, aber das ist nur die faule Geschichte ... schloß dieser echte Staatsmann ... Du bist kein Embryolog ...

Er fügte noch mit trauriger Wohlwollenheit hinzu:

- Das thut mir leid! ...

Mein Gönner dachte noch einige Minuten lang nach ... Ich schwieg, da ich mich noch nicht ganz von der Verblüfftheit, die mir dieser unvorhergesehene Vorschlag verursacht hatte, befreien konnte ...

- Mein Gott! ... begann er von Neuem ... es gäbe vielleicht eine andere Forschungsreise ... denn wir statten jetzt viele Forschungsreisen aus ... man weiß gar nicht was man mit dem Geld der Steuerpflichtigen anfangen soll ... Es würde sich darum handeln, wenn ich recht verstanden habe, nach den Fidji-Inseln und nach Tasmanien zu gehen, um dort die verschiedenen im Gebrauche befindlichen Strafverwaltungssysteme zu studieren und ihre Anwendung auf unseren sozialen Staat ... Nur ist dies weniger heiter ... und ich darf Dir auch nicht verhehlen, daß die bewilligten Gelder nicht gerade bedeutend sind ... und die Einwohner dort sind noch Menschenfresser ... weißt Du! ... Du hältst das für einen schlechten Witz, wie? ... Du glaubst, ich er zähle Dir eine Operette? ... Aber, mein Lieber, alle Forschungsreisen sind nach diesem System ausgestattet ... Ja, gewiß! ...

Eugène begann boshaft, diskret zu lachen.

- Es gäbe wohl noch die geheime Polizei ... Ha! ha! ... dabei könnte man Dir vielleicht eine gute Stellung ausfindig machen ... was sagst Du dazu? ...

Bei schwierigen Verhältnissen bethätigen sich meine Geistesfähigkeiten und wirken kraftvoll, meine Energie verdoppelt sich; ich überlege blitzesschnell und habe eine Entschlußfähigkeit, die mich selbst Wunder nimmt und mir häufig gute Dienste geleistet hat.

- Ach was! rief ich ... Schließlich kann ich doch auch einmal im Leben Embryolog sein ... Was riskire ich denn dabei? ... Die Wissenschaft wird daran nicht sterben ... die hat schon ganz andere Dinge zu Gesicht bekommen! ... Also einverstanden! Ich trete die Forschungsreise nach Ceylon an.

- Da hast Du recht ... Bravo! applaudirte der Minister ... umso mehr, mein Kleiner, als die Embryologie, Darwin ... Haeckel ... Carl Vogt ... kurz alle die Geschichten im Grunde nichts als fauler Zauber sein dürften! ... Ja, mein Freundchen, Du wirst Dich da drüben nicht langweilen ... Ceylon ist herrlich. Es gibt dort dem Vernehmen nach ganz außergewöhnliche Weiber ... kleine Spitzenmacherinen von einer Schönheit ... und einem Temperament ... Das ist das Paradies auf Erden! ... Komme morgen ins Ministerium ... wir werden da die Geschichte offiziell zum Abschluß bringen ... Vorläufig brauchst Du das nicht gerade über alle Dächer, jedermann zuschreien ... zumal ich, wie Du weißt, dabei ein gefährliches Spiel spiele, das mich theuer zu stehen kommen kann ... Wir wollen gehen! ...

Wir standen auf. Und während ich am Arme des Ministers in die Salons zurückkehrte, sagte er, mit reizender Ironie:

- Nun und wie? ... wenn Du die Urzelle auffinden würdest? ... Man kann ja nie wissen? ... Berthelot würde ein Gesicht machen, glaubst Du nicht? ...

Diese Combination hatte mir wieder etwas Muth und Frieden gegeben ... Sie gefiel mir nicht allzusehr ... Dem Dekret eines berühmten Embryologen hätte ich eine schöne Steuereinnehmer-Stelle zum Beispiel ... oder einen gutbezahlten Sitz im Staatsrath vorgezogen ... Aber man muß sich zu bescheiden wissen; dieses Abenteuer konnte übrrigens recht unterhaltend werden. Wurde ich nicht aus einem einfachen Landstreicher der Politik, der ich eine Minute vorher noch gewesen war, durch eine Bewegung des ministeriellen Zauberstabes der angesehene Gelehrte, der Geheimnisse an den Quellen des Lebens ergründen sollte? Diese Wandlung gieng bei mir nicht ohne einen gewissen heuchlerischen Stolz und komische Einbildung vor ...

Der melancholisch begonnene Abend endete in hellem Frohsinn.

Ich näherte mich Frau G .... die außerordentlich angeregt, Liebesgeschichten in Scene setzte und den Ehebruch von Gruppe zu Gruppe, von Paar zu Paar, geleitete.

- Nun, und diese anbetungswürdige rumänische Gräfin, fragte ich sie ... ist sie noch immer toll nach mir?

- Noch immer, mein Lieber ...

Sie nahm meinen Arm ... Ihre Federn waren verworren, die Blumen welk, die Spitzen zerdrückt.

- Kommen Sie nur! ... sagte sie ... Sie flirtet in dem kleinen Salon Guizot, mit der Prinzessin Onane ...

- Wie, sie auch? ...

- Aber, mein Lieber, erwiderte die große Politikerin ... in ihrem Alter und bei ihrer poetischen Natur ... wäre es wirklich traurig, wenn sie sich nicht in allem versucht hätte!

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